Lernen als Lebensphilosophie
"Widme dich dem Studium der Tora" (Sprüche der Väter 4, 12)
Dieser Spruch aus der Tora begründet eine lebenslange Motivation für den Erwerb neuen Wissens. Die jüdische Kultur kann als eine Kultur des Lernens beschrieben werden. Dabei meint das „Lernen“ vordergründig das religiöse Weiterbilden, also das Torastudium, welches einen sehr hohen Wert in der Gesellschaft besitzt, aber auch das praktische Lernen, also zum Beispiel eine handwerkliche Ausbildung. Somit soll eine einseitige Ausbildung vermieden werden und für einen guten Beruf gesorgt sein. Der gute Beruf stellt die Grundlage für ein gutes und gottgefälliges Leben dar. Für diese vielseitige Ausbildung sind die Eltern, insbesondere der Vater verantwortlich.
Für ein jüdisches Kind beginnt die religiöse Erziehung lange vor der Schulzeit. Von klein auf lernt es Gebete, wie das Berachot, das vor dem Essen gesprochen wird. Die Eltern sollen das Kind in den jüdischen Alltag einführen, unter anderem, indem der Vater seinen Sohn mit in die Synagoge nimmt. Somit soll eine gute Beziehung zwischen Kind und Gott aufgebaut werden.
"Wer seinem Sohn kein Handwerk beibringt, der macht ihn
gleichsam zum Straßenräuber" (Kid. 29a)
Eine andere Art, die kleineren Kinder auszubilden, waren die jüdischen Kinderschulen, Cheder genannt, welchen die Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren beitraten.
Auch im Ostjudentum gab es Schulen und Bildung für alle, obwohl dort zeitweise große Armut herrschte. Die Schulen waren zwar sehr ärmlich eingerichtet, denn oft gab es nur einen großen Raum, in dem auch der Lehrer mit seiner Familie lebte, aber die Kinder wurden gebildet. Oftmals trat die Gemeinde finanziell für die Schule ein.
Zuerst lernten die Kinder hebräisch, um dann Auszüge aus der heiligen Schrift zu lesen. In den Schulen, die eigentlich nur kleine Lehrstuben waren, stand die religiöse Bildung sowie das Erlernen des Schreibens, Lesens und Rechnens im Vordergrund. Mit neun oder zehn Jahren endete der Elementarunterricht. Es folgte die Talmud-Tora-Schule, in der die Schüler lernten, die Heilige Schrift zu interpretieren. Mit fünfzehn Jahren fingen die Jugendlichen an einen Beruf zu erlernen oder sie besuchten eine rabbinische Hochschule, die Jeschiwa.
Die Lehrer hatten im Judentum ein hohes Ansehen, denn sie bildeten die Kinder religiös weiter und vermittelten ihnen so den Glauben.
"Lehrer sollten sich bewusst sein, dass die Gottheit bei ihnen wohne" (Höxter II,97f.)
Eine Familie konnte von großem Glück sprechen, wenn ein Familienmitglied ein gelehrter Mann, vielleicht sogar ein Rabbiner war. Diese waren geachtete Männer. Oftmals hatte das Wissen in der jüdischen Kultur einen höheren Stellenwert als Geld oder Besitz.
Das Lernen endet jedoch nicht nach der Schule. Im Judentum wird der Erwerb von Wissen als Lebensaufgabe verstanden. Dieses Lernen kann durch das Torastudium, also das Lesen und Verinnerlichen dieser, geschehen.
Ein Ort zum Beten und Lernen bietet das Bethaus, in welches Menschen auch bis ins hohe Alter kommen, um die Tora zu studieren und um zu beten.
"Von Rabbi Levi Jishak aus Berditschew (1740-1810) wird erzählt "Als er längst ein bekannter Rabbi war, sagte er eines Tages zu seinem Schwiegervater ,Ich muß zurück zu meinem Meister, um etwas zu lernen.' Sein Schwiegervater war nicht wenig erstaunt und wollte ihn zurückhalten. Doch er war fest entschlossen und ging. Nach einem halben Jahr kehrte er zurück. Der Schwiegervater fragte ihn erbost: ,Was hast du nun gelernt?' ,Daß ein Schöpfer ist Himmels und der
Erden.' Wütend schrie der Schwiegervater: ,Das weiß sogar mein Knecht, der Russe Iwan!' Er holte ihn herbei, und Iwan sagte: ,Ja, Herr, ich weiß das, die ganze Welt weiß es, die ganze Welt sagt es ... ' Levi Jishak sagte: ,Das ist es ja gerade: Die ganze Welt weiß es, die ganze Welt sagt es - aber hat sie es auch gelernt?'""
Der Ursprung des Lehrens und Lernens wird oftmals mit der Freude am Studium der Tora begründet. Nach jüdischer Auffassung lernt man auch bildhaft durch die Gleichnisse, die in der Tora niedergeschrieben sind.
Die Tatsache, dass sich Albert Einstein im Laufe seines Lebens immer mehr mit dem Judentum identifizieren konnte, wird nicht nur mit seiner tiefen inneren Ablehnung des Nationalsozialismus begründet, sondern auch mit dem hohen Stellenwert der Gelehrsamkeit in der jüdischer Kultur. Der Wissenschaftler war so angesehen, dass ihm 1952 sogar die israelische Präsidentschaft angeboten wurde, die er dankend ablehnte.
"Schämen sollten sich die Menschen, die sich gedankenlos der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfasst haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst" (A. Einstein)
gestaltet von Chantal P. im Schuljahr 2018/2019