Gustav Mahler

1. Leben und Wirken

Gustav Mahler, 1892 / E. Bieber / Public domain

Gustav Mahler wurde am 7. Juli 1860 in Kalitsch in Böhmen geboren. Der Sohn einfacher jüdischer Kaufleute konnte in Ilgau das Gymnasium besuchen und erlernte autodidaktisch das Klavierspiel. Der Vater ließ ihn 1875 am Wiener Konservatorium Musik studieren. Einflüsse von Wagner und Bruckner, zu dessen 3. Sinfonie er einen Klavierauszug erstellt hatte, machen sich bemerkbar. Aus Enttäuschung über die Verweigerung des Beethovenpreises, zu dem er seine erste größere Komposition, das Klagende Lied, eingereicht hatte, wandte er sich der Dirigentenlaufbahn zu, die ihn bald aus der Provinz nach Budapest führte.

Dort erwies er sich bereits als Reformator der Opernpflege und brachte beispielsweise ungekürzte Aufführungen von Wagners "Rheingold und Walküre" in ungarischer Sprache heraus. Das nächste Engagement führte ihn nach Hamburg, wo er die Nachfolge von Hans von Bülow antrat.

Gustav Mahler, 1907 / Moritz Nähr / Public domain

Durch persönliche Fürsprache von Brahms wurde Mahler dann an die Hofoper nach Wien geholt, wo er 1897 bis 1907 großartige künstlerische Arbeit leistete.

1902 heiratete er Alma Schindler ( die später als sogenannte Frau der drei Künste weit über Wien hinaus Bekanntheit genoss: Ehefrau vom Komponisten Mahler, ebenso vom Architekten Walter Gropius, ebenso vom Schriftsteller Franz Werfel). Im Sommer 1907 erlebte Gustav Mahler eine persönliche Tragödie: Seine ältere Tochter Maria Anna starb. In dieser Situation erfuhr er zudem von seinem eigenen Herzleiden, was, gemeinsam mit dem Todesfall und dem geplanten Abschied von Wien, seine Existenz erschütterte.

Durch Intrigen vergrämt, wechselte er 1907 an die Metropolitian Opera in New York. Vom Tod gekennzeichnet, kehrte er 1911 in die Heimat zurück und starb am 18. Mai 1911 in Wien.

2. Mahler - Dirigent und Komponist

Aushang zur Vorstellung von Lohengrin, mit der Mahler in Wien debütierte / Public domain

In die Weltgeschichte der ernsten Musik hat sich Gustav Mahler unauslöschlich eingeschrieben. Er schuf zehn Symphonien (die VII. feierte 1908 in Prag ihre Premiere) und einige Liederzyklen mit Orchesterbegleitung - Lieder eines fahrenden Gesellen, Des Knaben Wunderhorn, Kindertotenlieder und Lied von der Erde. Mahlers Werk lockt zu immer neuen Interpretationen. Dem eigenen Schaffen widmete Mahler immer die zwei Monate während der Sommerferien. Deshalb wird er oft auch als "Sommerkomponist" bezeichnet. Diese Zeit verbrachte er in der Natur, am häufigsten in Toblach in den Alpen (heute Italien). Die Natur diente ihm als stärkste Inspirationsquelle, und als die Ärzte, nachdem seine Herzkrankheit festgestellt worden war, im physische Anstrengung untersagten, befürchtete Mahler, mit dem Verlust seiner Naturwanderungen auch einen großen Teil seiner Inspiration zu verlieren.

Während sein Werk sich nur allmählich seine Anerkennung erkämpfte, auf Unverständnis stieß und von der zeitgenössischen Kritik bei weitem nicht eindeutig positiv aufgenommen wurde, war Mahler zu jener Zeit bereits ein allgemein anerkannter Dirigent.

Seine Aufführungen der zeitgenössischen Opernwerke waren von allerhöchstem Niveau. Dennoch stieß er während seiner Arbeit oft an die Grenze seiner physischen Kräfte, hinsichtlich seines hohen Anspruchs geriet er immer in Konflikt mit der Mittelmäßigkeit. Seinen Traum vom Chefdirigenten der Wiener Hofoper realisiert er Schritt um Schritt.. Zuvor sammelte er Erfahrungen an verschiedenen europäischen Bühnen: in Prag, Leipzig, Budapest, Hamburg...

Mahlers Frau Alma zeichnet in den Erinnerungen an Gustav Mahler das Bild des "vergessenen" Kindes im Walde - des kleinen Gustavs, der furchtlos inmitten des düster werdenden Waldes, versunken in sich selbst, seine Erlebnisse wartet...
"Gefährte mein, die Welt ließ es nicht zu, dass ich glücklich sei. Ich will in das Land meiner Geburt gehen. Dorthin zurückkehren und mich nicht nach der Fremde sehnen. Doch die schöne Erde, wo du dich umsiehst, und ewig, ewig leuchtet die blaue Ferne. Ewig, Ewig...".

Die Abschiedsworte des "Liedes von der Erde" schrieb Gustav Mahler im September 1909 bei seinem letzten Besuch in Mähren.

3. J.M. Fischer über das Phänomen Mahler

Der Münchner Theaterwissenschaftler Jens Malte Fischer untersuchte unter dem Begriff Decadence Phänomene der Wende vom 19. und 20. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges - unter ihnen auch Gustav Mahler.

Nicht zufällig ist Gustav Mahler die zentrale Einzelgestalt in Fischers Buch, nicht so sehr als Komponist von heute weltweitem Ruhm, sondern als seismographisches Genie, das die Erschütterungen der Zeit, das unterirdische Beben verspürte wie andere sensitive Künstler dieser Epoche auch.

Dennoch war Gustav Mahler, der seine Frau Alma gezwungen hatte, das Komponieren aufzugeben, damit sie sich ganz ihm widmen konnte, vielen Gemütsschwankungen ausgesetzt. In einer Krisenstimmung wandte er sich einmal an Sigmund Freud. Im August 1910 kam es dann zu einem gemeinsamen mehrstündigen Spaziergang durch die niederländische Stadt Leiden. Eine denkwürdige Begegnung, "eine Begegnung zwischen dem Napoleon des Wiener Musiklebens und dem Goethe der Seelenkunde", merkt Fischer an.

Mahler war, meint Fischer, ein dreifach Heimatloser, als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude unter allen Nationen der Erde.
Mit antisemitischen Kampagnen war Mahler, der später zum Katholizismus konvertierte, schon als 25-jähriger konfrontiert worden - in seiner Kasseler Kapellmeisterzeit. Mahler selbst stand zu seiner jüdischen Herkunft wie viele assimilierten Westjuden dieser Zeit. Er habe Vorurteile gegenüber den Ostjuden gehabt und seine eigene jüdische Herkunft als Belastung empfunden. Er hat sie zwar nie versteckt, aber sie habe ihm auch "keine Freude gemacht".

4. Werke und musikalische Bedeutung

  • neun Sinfonien
  • 10.Sinfonie unvollendet: 1.Satz vollständig, Partiturskizzen für weitere Sätze
  • Das Lied von der Erde: Siebensätziges Werk für Tenor und Alt und Orchester, ist eigentlich seine 9.Sinfonie, doch aus abergläubischer Angst, eine 9.Sinfonie könne wie bei Beethoven, Dvorak, Glasunow oder Bruckner sein letztes Werk sein, schob er die Komposition seiner 9. Sinfonie auf
  • Das klagende Lied für Sopran-, Alt-, Tenor- und Basssolo, gemischtem Chor und Orchester (1880)
  • 14 Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit (1880-1892)
  • Lieder eines fahrenden Gesellen (1884)
  • zwölf Lieder aus "Des Knaben Wunderhorn" (1892-1895)
  • Kindertotenlieder (1901-1904)
  • sieben Lieder aus letzter Zeit (1899-1903)

Als Dirigent hat sich Mahler durch seine Opernpflege große Verdienste um das Werk von Weber, Mozart und Wagner, aber auch Pfitzner, Strauss und Wolf erworben.
Durch einen Bruckner-Zyklus in Amerika hat er versucht, diesen Komponisten auch in der neuen Welt bekannt zu machen. Seine Wirkung als Komponist kommt gerade in der Gegenwart besonders zum Tragen. Seine hohe Instrumentationskunst, die schon von Richard Strauss gerühmt wurde, die melancholisch-morbide Grundtönung seiner Musik, zu der das vielfache Einbeziehungen von Naturpoesie und volkstümlichen Zügen unvermittelt kontrastieren, wirken heute noch ergreifend. Mahlers Musik spiegelt das Lebensgefühl vieler Menschen seiner Zeit wider, geprägt ist sie durch Zerrissenheit, Unrast und Unruhe. Kein langsamer Sinfonie-Satz ist frei von einem Aufbegehren gegen reine Ruhe und Beschaulichkeit, die Scherzo-Sätze sprudeln nicht vor Fröhlichkeit und Lebensfreude, sondern kommen nur parodistisch daher.

Keiner hat die Doppelgesichtigkeit der Jahrhundertwende musikalisch so gültig formuliert wie Mahler: Er hat den Glanz des Vergangenen noch einmal grandios aufleuchten lassen, den Schmerz über seinen Verlust und das Gefühl der Gebrochenheit im neuen Jahrhundert deutlich vorgestellt, dabei aber auch Wege gewiesen, die weiterführen. Mahler setzt einerseits die große sinfonische Tradition fort, anderseits stellt er Musik zutiefst in Frage.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Musik befragt eine Musik sich selbst nach ihrem Grund - darin liegt Mahlers große Provokation.

verfasst von: Claudia W.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2001/2002