Hugo von Hofmannsthal
Die Gegensatzpaare Kunst und Leben charakterisieren die dichterische Entwicklung des Hugo von Hofmannsthal.
Seine Kindheit - er wächst auf im kulturell und geistig erblühenden Wien, von welchem Franz Grillparzer behauptete, es sei das "Capua der Geister", überfüllt von dem gefährlichen Reiz der Schönheit und des Reichtums - verbringt Hofmannsthal in den wohlsituierten Gefilden seiner Familie, die sich in neurotischer Ängstlichkeit um die sittliche Erziehung ihres einzigen Sohnes sorgt. Die Musikalität der Atmosphäre, geprägt von Schubert, Lanner, Strauß und Mozart, umrahmt von der Prächtigkeit der barocken Festfreudigkeit, ist Indiz für das vehemente Festhalten an tradierten Verpflichtungen des Kulturerbes der Stadt, in welcher sich alles organisch entwickelt und in scheinbar grenzenloser Freiheit von Widersprüchen lebt und atmet. Hofmannsthal ist Teilhaber dieser Idylle, die seine Kindheit prägte. Hermann Bahr sagte einmal über die Hofmannsthals, dass sie der Affektheilung wegen nach Wien gezogen wäre, da es in der Provinz zu stark nach Wirklichkeit wehe.
Die Friedlichkeit der Kindheit ist aber nicht evident für das Ersinnen der Widersprüchlichkeit der Welt, die er - wenn auch vornehmlich auf sich selbst bezogen - lanciert. Neben der wirtschaftlichen Depression von 1873, dem Fanal des Selbstmordes des populären Offiziers von Gablenz waren es innenpolitische Probleme, die den Faden des "Menetekels" der kapitalistisch orientierten Gesellschaft sponnen: Nationalistische Bestrebungen der Tschechen, der drohende Zerfall der k.u.k.-Monarchie durch militärische Interventionen der revolutionierenden Ungarn, das Phantom des Panslawismus und schließlich der Kulturkampf zwischen Liberalen und Ultramontanen. Hofmannsthal notiert sich lakonisch: Lärm, Proletariervorstädte - und greift damit in die offene Wunde der Gesellschaft der anonymen Macht des Geldes und dessen Akkumulation.
Das Theater und kulturelle Ressentiments bilden das ersehnte Heil. Wien ist überschwemmt von der Renaissance der Künste. Farbenreichtum, "Schaum und Traum und Unmöglichkeit" sind Schlagworte für das temperamentvolle Naturell des Wiener Theatertraums.
Hofmannsthals Schulzeit ist von der Prächtigkeit des Moments geprägt. Er brilliert im Deutschunterricht, in Fremdsprachen und ist, insgesamt betrachtet, einer der erfolgreichsten und vielversprechendsten Schüler des hoch dotierten, humanistischen Akademischen Gymnasiums; Sprachbeherrschung und eine hochwertige Allgemeinbildung waren Garant für Gutes, aber auch für die Einsamkeit des egoistisch eingestellten Schülers. An einen früheren Mitschüler schreibt er 1907: [...] diese scheinbar alles durchdringende Lieblosigkeit und Treulosigkeit, die dich an mir so sehr befremdet und mich manchmal so sehr geängstigt hat - der "Tor und der Tod" ist nichts als ein Ausdruck dieser Angst -[...] ist [...] die Verfassung des Dichters unter den Dingen und Menschen.
Die literarische Kontemplation der Jugend ist Resultat einer umfassenden Belesenheit des Pubertierenden: Goethe, Schiller, Kleist, Grillparzer und später Homer, Dante, Arouet, Shakespeare, Byron und Browning im Original sind Identifikationsfiguren seiner frühen Literaturerfahrung, einer fragmentarischen Erschließung des gutbürgerlichen Erwartungshorizonts.
Unter dem Pseudonym Loris publiziert er erste Gedichte. Gedichte eines 16-jährigen, erstmals erschienen unter dem Titel "Frage", erregen bald Aufsehen, Ekstase, Enthusiasmus. Das Café Griensteidl, die "Schriftsteller-Schwemme", stellt ab Herbst 1890 den primären literarischen Bezugspunkt Hofmannsthals dar. In atemberaubendem Tempo wird er integraler Bestandteil der Tischrunde um Hermann Bahr, Felix Salten, Arthur Schnitzler, Leopold von Andrian und Richard Beer-Hofmann, um nur einige Namen zu nennen. Schnitzler notiert sich: "Bedeutendes Talent, ein 17-jähriger Junge, Loris. Wissen, Klarheit und, wie es scheint, auch echte Künstlerschaft, es ist unerhört in dem Alter." Zum Prolog des "Anatol", verfasst von Hofmannsthal, schreibt Schnitzler: "Von diesem merkwürdigen Achtzehnjährigen wird noch sehr viel gesprochen werden."
Die Gedichte beschreiben Welt und Seele, Leben, Traum und Tod, die artifizielle Natur. Eine sich anbahnende Verbindung von ethisch-moralischer Wertschätzung und dichterischer Entelechie ist bereits in den Wurzeln seiner Lyrik spürbar: Zweifel an der Wahrheit der Worte und Gedanken, da unser Habitus Erlognes an Erlognes, Wort an Wort / Wie bunte Steinchen aneinanderreih[t]. Monumente der Ästhetik, Verherrlichung der Liebe als Kostbares und Seltenes, Freude am Reichen und Künstlichen:
Schön ist mein Garten mit den goldnen Bäumen,
Den Blättern, die mit Silbersäuseln zittern,
Dem Diamantentau, den Wappengittern,
Dem Klang des Gong, bei dem die Löwen träumen...
1891 ist das Jahr der ersten literarischen Standortbestimmung: Gestern, eine Studie in einem Akt, in Reimen. Der "himmelblaue Einakter" wird schnell populär, bezaubert durch eine altkluge und frühreife Jugendlichkeit, mit der die Antagonismen Ich und Welt, Schein und Sein, Dauer und Vergehen betrachtet werden. Die Dramatische Studie ist die ideale Form für Hofmannsthal: Im Anfang stellt der Held eine These auf, dann geschieht eine Kleinigkeit und zwingt ihn, die These umzukehren; das ist eigentlich das ideale Lustspiel. Schnitzler sieht hierin das Ingenium Hofmannsthals, verankert in der Musikalität der Verse und der magischen Herrschaft über das Wort. Die Szenerie des Dramoletts ist determiniert durch die Lehre von der Vergänglichkeit, der Verabsolutierung des Moments. Der Wechsel der Stimmungen, Verifikation einer impressionistischen Lebenshaltung wird im Verlauf des Stückes widerlegt und die These Andreas, umgekehrt durch Andrea selbst, behauptet:
Dies Gestern ist so eins mit deinem Sein,
Du kannst es nicht verwischen, nicht vergessen:
Es i s t, so lang wir wissen, daß es w a r.
Stefan George ist die Gestalt, die, dem Leben überlegen, die Redigierung des Begriffes "Dichter" und seiner Pflicht forciert. Aus dem Kreise um den französischen Symbolisten Mallarmé kommend, tritt er mit denen in Verbindung, die ahnten, was das Dichterische sei, um daraus eine Vereinigung zu kreieren. Hoffmannsthal war einer dieser "Selektierten".
Hofmannsthal scheint hin und her gerissen von dem leidenschaftlichen Ausdruck im Gesicht des temperamentvollen Naturells Georges und tritt mit ihm in engeren Kontakt. Es ist eine der Ironien seines Lebens, dass die Symptome einer krankhaften Beziehung aufkommen, Kontraste und differenzierte Betrachtungsweisen das Verhältnis tief zerschneiden. Der Affinität der Seele folgt deren Demotage. Der Bruch zwischen beiden ist aber nicht gleichzusetzen mit einer verlogenen Respektlosigkeit: Hofmannsthal behandelt George und sein Schaffen nicht despektierlich, sondern gesteht, dass die Größe seines Werkes [...] nie einen Augenblick verlorengegangen ist, jedenfalls nicht für ihn. Die Suggestion Georges bleibt demzufolge, wenn auch bruchstückhaft, fest verankert in Hofmannsthal, denn er hat sich der allgemeinen Erniedrigung und Verworrenheit mit Macht entgegengesetzt.
Im März 1892 entsteht eines der bekanntesten Gedichte symbolistischer Lyrik mit dem Titel Vorfrühling:
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn...
"Der Tor und der Tod", fertiggestellt im Frühjahr 1893, ist Manifestation der Gegensätze Leben und Tod. Sie besteigen den Thron der menschlichen Existenz, verkörpert durch Claudio, der organisch gewachsen nach Hamlet, Werther und Faust, Roquairol und Henri Frédéric Amiel folgt: der Lebenszwiespalt macht ihn zum Tor, da der Freitod als Schuld empfunden wird:
Ich hab von allen lieben Lippen
Den wahren Trunk des Lebens nie gesogen,
Bin nie, von wahrem Schmerz durchschüttert,
Die Straße einsam, schluchzend, nie! gezogen.
Die Sprachskepsis, evoziert durch die Fiktion, die Worte haben sich vor die Dinge gestellt; sie spinnen alles Leben von den Menschen ab, relativiert sich in der Erkenntnis, die magische Herrschaft über das Wort zu geißeln, die im Traum gestiftete Einheit von Ich und Welt zu vollbringen. Der Magier mystifiziert sich, erreicht den Zustand der Introversion, die Garant für die angestrebte Welterkenntnis ist. Die Harmonisierung aller korrespondierenden Formen, eine Allverbundenheit von allem, reflektiert sich in den meisten Gedichten, die bis 1896 verfasst werden.
Neue Gefilde müssen erkundet werden: Ich glaube, dass ich jetzt [...] das aufs Wesen gehende Kunstgesetz für die Novelle [...] ahne, dessen voller Besitz einem möglich machen muss, den Gipfel des Literatentums zu erklimmen. Doch bereits die Sackgasse des Ästhetizismus konzessiert Hofmannsthals Bestrebungen; Vieles bleibt Fragment oder wird an fehlender Tiefendimension scheitern, der Verquickung der Innen- und der Außenhaut. Das "Märchen der 672. Nacht" ist Ausdruck der Fahrlässigkeit der Märchenhaftigkeit des Alltäglichen zum Bewusstsein, das Absichtlich-Unabsichtliche, das Traumhafte, durch die die Verwässerung der orientalischen Märchenauffassung deklariert werden kann.
Nach Zeiten der literarischen Inkonsequenz, der Verwerfung von Skizzen und Vorentwürfen, die seinem eigenen Bedürfnis und kritischen Auge nicht standhielten, erquickt die Lebendigkeit des Ortes Varese die Schaffenskraft des Dramatikers. Zahllose Einakter, darunter "Die Frau im Fenster", "Der Kaiser und die Hexe", "Die Hochzeit der Sobeide", die Puppenspiele "Das kleine Welttheater" und "Die Glücklichen" sowie das Dramolett "Der weiße Fächer" waren Zeugnisse der Inspiration dieser Tage im August 1897. Die Szenarien der Stücke sind in allen Herren Ländern zu finden und in den unterschiedlichsten Epochen angesiedelt, stützen sich auf das Phänomen der Sprachskepsis: mystifizierte griechische Sagengestalten, Anhänger der höchsten Welt, Unvollkommene mit der Welt oder die Antinomie von Treue und Schuld. Die Verfehlung der Wortmagie wird Sinnbild der Altklugheit der Jugend, aber auch der Verführung der Worte und Sprache:
Ja, im Munde wird mir zur Lüge,
Was noch wahr schien in Gedanken.
Die Erkenntnis des sittlichen Problems der Sprache, welches über der Sprachskepsis wuchert, ist Ansatzpunkt der Dramen des Jahres 1897 und verifiziert Borchardt: " [...] wie merkwürdig ruhig entwickelt sich dieser incommensurable Mensch."
Biographisch betrachtet endet mit den in Varese im Rausch der poetisch-dramatischen Ergüsse und Kreativität verfassten Einaktern das Jugendwerk Hofmannsthals. Dieser Umstand wird primär veranschaulicht durch den Charakter des 1899 fertiggestellten "Bergwerk zu Falun", eine lyrisch-dramatische Dichtung basierend auf einer Erzählung von E.T.A. Hoffmann: Zwar im fragmentarischen Zustand konserviert - aufgrund der Überfülle des sich Hofmannsthal aufdrängenden Dramenstoffes -ist dieses Opus Grenzstein zwischen der vorwiegend lyrisch-subjektiven und der zweiten Epoche, in der man Anschluss an große Form gesucht hat.
Die Unbeherrschbarkeit dieser Mystifizierung der Welt, der Gewalt der Antinomien, einer unbezähmbaren Sprachskepsis aber auch das eines Gefühls der Unausgewogenheit seiner lyrisch-dramatischen Kompositionen, einer nur fragmentarisch-aktweisen Veröffentlichung der Werke (Das "Bergwerk zu Falun" ist ausschließlich als Ein- und nicht als Fünfakter bekannt.) ist augenfällig ausschlaggebend für die Suche nach neuen Impulsen: der jähe Abriss seiner Kontemplation für das Jugendwerk folgt der innige Wunsch nach Verkörperung der Ausdrucksformen und Intentionen im greifbareren Milieu des Theaters, der szenischen Umsetzung in das konkret-visuell Sichtbare. Neben Richard Strauß sollte Max Reinhardt als derjenige, der die Szenen zu lebendigen Handlungssträngen erweckt, maßgeblich für den Erfolg von Hofmannsthals Werken auf der Bühne fungieren.
1901 bezeichnet Hofmannsthal selbst als die Geburtsstunde seiner Verbundenheit zur dramatischen Aufgabe: Zum Unterschied von meinen früheren lyrischen dramatischen Arbeiten suche ich mich diesmal sehr zurückzuhalten und stelle ein sehr genaues Szenarium fest. Erste behandelte Stoffe sind Kriminalstoffe des Venedigs zwischen Barock und Renaissance,
durchtränkt von Heuchelei und Heimlichkeit,
voll von Spionen, Gift und Meuchelmord.
Daneben laufen Vorbereitungen für das Stück "Pompilia oder Das Leben", welches Fragment bleibt, zuletzt bedingt durch die nicht zu bändigende Fülle an Dramenstoffen; ebenfalls 1901 sind Arbeiten an Calderóns "Das Leben ein Traum" und dem Morality Play vom "Everyman" 1903 geplant. Pathetisches Verbundensein zu Stoffen des Barocken und Mittelalterlichen, generell des "Antiquierten", sollten für den subtilen Hofmannsthal eine entscheidende Rolle während des Krieges spielen.
Doch zunächst: verarbeitet er griechisch-antike Stoffe: "Ariadne auf Naxos", "Elektra", "Ödipus und die Sphinx", "König Ödipus" sind Prämissen des entfachten Bewusstseins für Euripides und Sophokles.
Die Präambel der Kunst gilt hier ebenfalls: Es sind in diesem Stoff so schöne Möglichkeiten, fast ungreifbare, nie recht zu beredende Dinge allegorisch auszudrücken: als das Verhältnis des Einzelnen zur Kunst oder besser, den unheimlichen Gegensatz jener beiden Verhältnisse zu Kunst, in denen eigentlich alle Menschen stehen: das des Enthusiasmus und das des wilden Hasses.
Nachdem "Ödipus und die Sphinx" und später "König Ödipus" inszeniert wurden, zeigte sich aber, dass ein durchschlagender Erfolg mit den Griechendramen ausbliebt. Die durch sie entstandene Sackgasse musste durch vielversprechendere Projekte, die den wirklichen Erfolg im theatralischen Milieu bringen sollten, kompensiert werden. Die Zusammenarbeit mit Richard Strauß und Max Reinhardt war für den Erfolg symptomatisch und sinntragend: "Jedermann", "Der Rosenkavalier", "Das Salzburger Große Welttheater", "Cristinas Heimreise", "Die Frau ohne Schatten", "Die Schwierigen" oder "Der Unbestechliche" sowie adaptierte Stoffe des barocken Spaniers Calderón oder des französischen Molière sind nur einige bedeutende Verzeichnisse seines Oeuvre.
Die Beschäftigung mit dem Morality Play des "Everyman", die er seit 1903 pflegte, bringt ihn 1906 zur prosaischen Ausformung des die Todesstunden und Todesfurcht thematisierenden, mittelalterlichen, englischen Werkes: [...] ja im Wiener Dialekt will es sich gebären. 1911 erst entdeckt Hofmannsthal das Spiel für die Poeterei wieder, stärker assimiliert an das Ursprüngliche des Stückes. Die Negierung des Stoffes durch die Medien reizte Hofmannsthal zur verstärkten Nuancierung seiner Anteilnahme an der Neufassung.
Die Abstraktion des Sinngehaltes des "Jedermann" lässt ihn Rückschlüsse ziehen auf die Verwandtschaft zur "Elektra": [...] in beiden wird gefragt, was bleibt vom Menschen übrig, wenn man alles abzieht? - in beiden geantwortet: das, wodurch sich der Mensch der Welt verbinden kann, ist die Tat oder das Werk. Das allegorische Gebilde, im Inhalt angenähert an die Mythen des Volkes, ein menschliches Märchen [...], in christlichem Gewande: Garant für den Bühnenerfolg und Fanal der Salzburger Festspiele, die 1920 ihre Feuertaufe erhalten.
1906 drängt sich Hofmannsthal der Stoff zu einer Bearbeitung auf, der sich zur "Zauberflöte" so wie sich der "Rosenkavalier" zum "Figaro" verhält: [...] es bestände hier wie dort keine Nachahmung, aber eine gewisse Analogie. Ein Märchenstoff, der Literaturgeschichte schreiben sollte, ein Werk, mit dem sich Hofmannsthal anschickte, in die Reihe der großen deutschen Erzähler des vergangenen Jahrhunderts aufzusteigen oder wie es R.A. Schröder, ein intimer Freund des Lyrikers, beschrieb: als die unbegreiflich schönste Erzählung unseres Sprachbesitzes.
Das Prosamärchen trägt den Titel "Die Frau ohne Schatten", organisch entstanden aus dem Quell des Zauberstückes, des Wiener Volkstheaters und der Neapolitaner Commedia dell'arte. Die immanenten Gruppierungen, dialektischen Ursprungs, sind König und Königin sowie die Wiener Volksfiguren des Flickschneiders (Färbers) und seiner Frau - Geschick der Figurenkonfiguration: Integriert in die Welt der Geschichtslosigkeit des Märchens, zeitlos, phantatisch-märchenhaft gestaltet, sind sie der Ursprung einer Novität der Hofmannsthalschen Poesie, die im Triumph des Allomantischen - der wechselseitigen Läuterung der Figuren, der wechselseitigen Verwandlung dieser - ihren Ausdruck findet.
Die Mystifizierung des Märchenstoffes, ein Gemisch aus "Tausendundeiner Nacht", der Geschichte des Fischers und dem schwedischen Sagenschatz, verpackt in geheimnisvoller Art die Sphären, die in bizarren Formen verschränkt werden: Höhere und niedere Welt, Geisterreich und Menschendasein, das Land der sieben Mondberge und die volkreichste Stadt der südöstlichen Inseln. Der zentrale Punkt der Szenerie ist aber das Verspaar Goethes:
Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
Befreit der Mensch sich, der sich überwindet.
Dieses Bonmot ist bereits Indikator für die allomatische Lösung: [...] es müssen alle vier gereinigt werden [...] zu trübe irdisch das eine Paar, zu stolz und ferne der Erde das andere. Die Figurenkonfiguration hält wieder eine "Mittlergestalt" bereit: die Amme der Kaiserin, ein Wesen mephistophelischer Art.
Die Kaiserin obliegt einem Fluch, ihren Ehemann zum Erstarren zu bringen, falls sie nach gesetzter Frist keinen Schatten wirft: Die Nichtannahme des Schattens - der der Färbersfrau "geraubt" wird - ist Indiz für ihre Solidarität mit der Färbersfrau und ihrem Mann. Sie nimmt gleichzeitig den Fluch auf sich, wird Mensch - sie ist Tochter des Geisterkönigs - und erhält den Schatten, der ihren Gemahl aus der Steinwerdung befreit. Mit der Übernahme des Fluches befreit sie auch das Paar aus der Agonie der Dumpfheit und irdischen Verstrickung. Der Triumph des Allomatischen und die Gegebenheit der Allegorie des Sozialen sind evident für die Suche nach der "poetischen Wahrheit": Die Thematisierung der Treue und des Opfers, das Wunder der Verwandlung, das Mysterium der Ehe, der Glaube der Herrschaft durch Dienst und Ergebenheit sind ewig wiederkehrende Mittel, denen Hofmannsthal in seinen Werken den Status der Ewigkeit einräumt. Das Märchen ist Preis des ewigen Geheimnisses der Verkettung alles Irdischen, eine Personifizierung der Welt der tiefsten Bindung und unerbittlichster Einheit, aber auch aufgrund seines klassischen Gehalts, der goethischen Atmosphäre in einer romantischen Gestalt legitimer Nachfolger des "Heinrich von Ofterdingen" des Novalis: Der Rang des Klassischen schützte dennoch ein Fragment Hofmannsthals, Jugend und Lebenskrise eines jungen Österreichs fokussierend, nicht vor der Stigmatisierung der Nationalsozialisten. Der "Wilhelm Meister" der Österreicher wurde zum "Bastard" und "Verkünder aufgeblasenen Moders" relativiert.
Die Darstellung "Andreas oder Die Vereinigten", dessen Stoff einer Schrift des Bostoner Psychators Morton Prince entnommen, reflektiert die private Geschichte des Schicksals einer schizophrenen Studentin: Die Neubearbeitung thematisiert diese Gespaltenheit analytisch, strebt aber wieder nach der allomatischen Lösung. Die Wirren des Krieges machen dieses Opus zu einer Verallgemeinerung der Gespaltenheit der Welt, des "Risses, der mitten durch das Herz ging" (nach Heine).
Die Erzählung "Die Frau ohne Schatten" stand in Konkurrenz zu der gleichnamigen Oper, von deren Uraufführung 1919 in Wien Hofmannsthal überzeugt war: [...] es wird sicher nirgends auf der Welt eine so schöne Vorstellung sein. Grund dieser Ambivalenz war die Tätigkeit des Lyrikers als Librettist für Richard Strauß, ergo eine völlig neue Betätigung Hofmannsthals, eine regenerative Phase. Die Antipoden verstanden es, ihre Produktivität zur reinsten Maschinerie eines Publikumsmagneten umzufunktionieren. Lustspiele, Trauerspiele, lyrische oder romantische Dramen sind Prämissen der Vielfalt von Stoffen, die den Operncharakter oder einen ähnlichen implizierten; der "Rosenkavalier" ist exemplarisch für dieses glorreiche Kooperieren.
Das Schreiben für die Theaterschriftstellerei wird ab 1903, dem ersten Zusammentreffen mit Reinhardt, initiiert durch Hermann Bahr, die dominierende Richtung des produktiven Schaffens Hofmannsthals. Das Dilemma: Ich weiß, daß alles, was ich auf dem Gebiet des Theaters tue, von den confusen Deutschen ganz besonders verkannt und verzerrt wird. Hier aber bin ich wirklich stark durch mein Österreichertum, daß ich [...] in der Kinderzeit gekannt, genossen und verstanden habe. Hegt dieser Hugo von Hofmannsthal damit nationalistisch-philiströse Ansichten? Die vorweggenommene Negation dieser Antwort soll Beruhigung und Beunruhigung zugleich sein!
Der "Rosenkavalier", Hofmannsthal zufolge eine leichtsinnige Improvisation, deutet in die Richtung des Mystischen und des Dialektischen, der Sprache nach innen und Sprache nach außen; es ist dies das zweite gemeinsame Werk Strauß' und Hofmannsthals, bei dem Libretto und Lustspiel, eine bevorzugte Form des Lyrikers, eine harmonische Symbiose eingehen. Wichtigste Neuerung der Lustspiele ist die Modifizierung der Sprache: Austausch von poetischer Metaphorik durch schlichte Prosa, Heilsversprechen des von Sprachskepsis Geplagten, Unterbindung des gespenstischen Zusammenhangs der Worte mit der naiven Redekraft der Menschen. Die Schaffung individuellerer Züge, die den Reichtum des Lebens mit Hilfe der Sprache zu reflektieren zu hoffen glauben, ist für ihn die Schaffung des eigentlich Sozialen der Kunst.
Der "Rosenkavalier", entstanden in der Diskussion einer geselligen Spielrunde, eine Komödie für Musik ist ein Opus des Zusammenfließens von Ernst und Scherz, Geistigem und Sinnlichem, ein Erbe österreichischer, wienerischer Tradition; Intrigenstück, Verkleidungskomödie und parodistische Zauberposse: praktisch der Schlüssel zum Theater (Uraufführung 26. Januar 1911).
Schlüssel zum Erfolg ist wohl auch die Verwirrung der Konfiguration: So stehen Gruppen gegen Gruppen, die Verbundenen sind getrennt, die Getrennten verbunden. Sie gehören alle zueinander, und was das Beste ist, liegt zwischen ihnen: es ist augenblicklich und ewig. Wieder regieren die halb reale und halb imaginäre Welt des theresianischen Wien, wieder regieren Dialekt neben der Sprache, die in keinem Buche geschrieben steht.
Motivisch umnachtet wird die Szenerie durch die Begriffe Ehe, Treue, Untreue, Zeit und Ewigkeit, die Eintracht des Lebendigen, aber auch eine sich stärker manifestierende Sittlichkeit. Die Figur der Marschallin, die von der Schwäche alles Zeitlichen weiß, geprägt von Trauer und Resignation, verknüpft sich charakterlich mit Heroen der Griechendramen, vor allem der Ariadne: Die Läuterung der Seele ist wieder von entscheidender Rolle, die Fortsetzung des Triumphes des Allomatischen (einer höheren Sittlichkeit).
Das Grundthema der "Ariadne auf Naxos" korrespondiert mit dem des "Rosenkavaliers": Die wechselseitige Bezauberung und Verwandlung durch die Liebe, eine wahrhaft Goethesche Atmosphäre.
Der "Schwierige", ein österreichisches Gesellschaftslustspiel, ist exemplarisch für die Wirren des Krieges, rapider Veränderungen in der "rigiden"(!), österreichischen Gesellschaft der (post)feudalen Zeit. Es verkörpert das einzige Lustspiel, welches in der Gegenwart spielt, den Krieg voraussetzend. Dennoch sind gerade die Hauptakteure des Stückes, eine in der Realität gar nicht mehr vorhandene Aristokratie, Opfer des Bizarren am Lustspiel. Der Held, Hans Karl Graf Bühl, der Mann ohne Absicht, wird von der Gesellschaft gezwungen, sein "pathetisches" Passiv-Agieren zu ersetzen durch die Rettung einer brüchigen Konventionsehe, also handeln, aktiv werden. Hans Karl ist getrieben von der Gier, die Absicht der Tat zu ergründen, ihren dialektisch ungelösten Kern zu ergründen: Wie eines aus dem anderen wird, wie man eines aufhören und das andere anfangen kann, wie man frei ist zur Tat und damit sich selbst umzuschaffen. Die Konventionsehe, die es zu flicken gilt, ist Agens der odiosen Konfusionen [...] denen sich ein Mensch aussetzt, der sich unter die Leut mischt: Tiefer verwurzeltes Fundament der Problematik der Oper ist aber wieder die Sprache, da es unmöglich ist, den Mund aufzumachen, ohne die heillosesten Konfusionen anzurichten.
Der eigentliche motivische Kern, um Hofmannsthal gerecht zu werden, ist dieser: [...] das eigentlich Seelenhafte, das persönlich Metaphysische [...] ist versteckt unter der doppelten Ironie, Ironie in der Gestaltung und Ironie der Gestaltung im sozialen, geformten Element. (Die Hofmannsthalsche Ironie hat ihren speziellen Platz in der Literaturgeschichte eingenommen.) Die sich dabei aufwerfenden Fragen: Wie kommt das einsame Individuum dazu, sich durch die Sprache mit der Gesellschaft zu verknüpfen, ja durch sie [...] rettungslos mit ihr verknüpft zu sein? und Wie kann der Sprechende noch handeln - da ja ein Sprechen schon Erkenntnis, also Aufhebung des Handelns ist [...]? gehören in die Kategorie der philosophischen Frage- und Problemstellungen des Österreichers. Brisant erscheinen neben diesen sprachanalytisch-kommunikativen Fragen ebenfalls die existentiellen der Griechendramen und anderer vergleichbarer (Ehe, Treue, Untreue).
Das österreichische Gesellschaftslustspiel, wie Hofmannsthal es postulierte, reflektiert den österreichischen Charakter der Wiener Adelswelt, einer Welt, die zum Untergang verurteilt und deren Scheitern programmatisch ist. Die Gesittung, die Sittlichkeit dieses Ancien régime: Gehalt ohne Prätention, Vornehmheit gemildert durch eine unendliche Grazie ist Symbol einer Menschlichkeit, die gerechtigterweise behaupten kann, dieses (feudale) Element überleben zu lassen, es zu verewigen. Der "Schwierige" ist Fixpunkt des komödianten Habitus Hofmannsthals und bekräftigt das Apercu: Das erreichte Soziale: die Komödien.
Hofmannsthal schrieb 1929, wenige Monate vor seinem Tod, an Burckhardt - den "Sozius" seiner letzten Lebensjahre: Es ist zu viel Spannung in dieser Welt, man muß wirklich Lustspiele schreiben -sonst weiß man nicht wo aus noch ein. Ein leichter Drang des Pessimismus, das Grollen und Brodeln einer bevorstehenden Eruption der Melancholie ist in diesen Worten der Resignation bereits gegeben. Die "Arabella", Form und Inhalt nach verwandt mit dem "Rosenkavalier", ist die letzte solche Eingebung, die dem Zuviel an Spannungen geopfert wurde. Die Komödie, die versagt vor diesem Zuviel, ist Fanal der Aufgabe eines Notwendigen für den Dichter: der Lebenskunst im tiefsten Sinn. Anlässlich der Uraufführung des "Turm", dem letzten Werk Hofmannsthals, einem allegorischen Trauerspiel auf die Misere des österreichischen Schriftstellers, gerät das Gemüt des Dramatikers völlig aus den Fugen. In einem Gespräch mit Raoul Auernheimer über dieses Dilemma heißt es: "Was soll er tun, der österreichische Dichter?" Seine "im Falsett" gesprochene, "erschreckende Antwort": "Sterben!". Ende der Fahnenstange, Ende der Veranstaltung, Triumph des Pessimismus.
Der "Turm" indes selbst: Veräußerung von Weltkrieg, Revolution, Untergang der Monarchie, Pöbelherrschaft, Macht des Geldes, Ahnung furchtbarer Möglichkeiten, kurz: die Rekapitulation des gesamten Weltenlaufes der Herrschaft; eine Verknüpfung von Vergangenem und Gegenwärtigem, welches Geschehen und Gestalten mystifiziert und zauberhaft umnachtet. Für Martin Buber: "Nun darf man wieder an die Existenz der Tragödie in unserer Zeit glauben."
Die schöpferische Restauration, wie er die Atmosphäre seines Spätwerkes selbst bezeichnet, ist Ausdruck des Widerstandes gegen die Demontage der Heimat, gegen die Zerstörung des eigenen Ichs in den Wirren einer renitenten Gegenwart: Balkankrise; es rumort in ganz Europa, Intrigen und politische Ranküne bestimmen das Bild; die Türkei von Italien und den Balkanstaaten beraubt (Tripolis, Makedonien); die drohende Gefahr des Phantoms des Panslawismus - Hofmannsthal seit seiner Kindheit bekannt - ist wieder aktuell; der damonische Geist des Krieges liegt seit 1912/13 in der Luft. Der habsburgische Vielvölkerstaat gerät in seichtes Fahrwasser, die Idee der nationalen Befreiung wird forciert, das Kaiserreich steht vor der Dekadenz: "Trüb stehts hier, [...] trübe um unser altes Österreich. [...] Das Innere ist das furchtbare Problem. [...] Wir gehen einer dunklen Zeit entgegen [...] auch wo wir siegen, nichts rechtes gewinnen [können] als nur Verlegenheiten."
Erschwerend hinzu tritt die Erosion des Geistigen: Das Zerbrechen aller Maßstäbe, die Demontage aller Formen wird durch den euphorisch begrüßten Fortschrittsgedanken und die heillose, quantitative Technisierung der Welt hübsch vorangetrieben: [...] was wir besitzen sollten, das besitzt uns, und was das Mittel aller Mittel ist, das Geld, wird uns in dämonischer Verkehrtheit zum Zweck der Zwecke [...] und es ist erschreckend, bis zu welchem Grade es sie alle bestimmt. So heißt es im Aufsatz "Das alte Spiel vom Jedermann" 1912, programmatisch für die Bearbeitung des "Jedermann": Kritik an dem Regime Franz Josephs, Diktat des Scheusals, der würdelosen Gebärde des Pasquillanten.
Die bewußt in Angriff genommenen Sammlungen zur "Errettung der deutschen Sprache und Kultur vor dem Aussterben" sind keine Koinzidenz - dasselbe gilt für einige Bühnenwerke Hofmannsthals -sondern absichtlich: Die Gegenwart ist breit, die Vergangenheit tief; die Breite verwirrt, die Tiefe ergetzt. Es ist wohl unveräußerlich, dass in den Wirren der Zeit der Mensch, flehend nach Sozialisation, einen Halt, eine Wurzel gekommen muss, an der er sich festhalten kann. Diese ist Hofmannsthal imstande zu geben. Die "Deutschen Erzähler" heißt das pathetische Machwerk: Die Einleitung soll das liebe- und gehaltvollste werden, was ich geschrieben habe, so lautet das Bekenntnis Hofmannsthals an seinen Verleger.
Die "Literatur eines Konservativen" ist hier nicht als Reminiszenz an die Weltentfremdung der Romantiker zu deuten (er bezieht sich in der Einleitung zwar auf Napoleon), sondern sittlicher Auftrag, Suggestion des Volkes, die seinige Kultur zu retten, die bald auf dem Spielplan des Schlachtfeldes stehen wird. Die Rehabilitation oder besser gesagt Reanimation der großen Werke einer längst untergegangenen Literatur - was sich Hofmannsthal auch in seinen Dramen zu eigen machte - sollte thematischer Schwerpunkt der Arbeiten werden, auch wenn diese nur noch im toten Wasser des gelehrten Besitzstandes treiben.
Die Übereinstimmung mit Aspekten der Romantik ist erstaunlich: Hofmannstahl macht, wie schon Friedrich Schlegel, die Sprache zum einzigen Bindeglied der Nation, nachdem alle geselligen Banden nebst der Religion zerrissen und heterogen sind. Im 1923 erscheinenden "Deutschen Lesebuch" versucht er, den geistigen Raum der Nation an der Vielfalt des Schrifttums festzumachen. Österreich aber muss zunächst gerettet werden.
Der Ausbruch des Weltkrieges wurde euphorisch bejubelt, wurde begrüßt und verherrlicht: Kam dieser Krieg nicht bald, so waren wir verloren - und wohl Deutschland mit uns. Die Dimensionen sind phantastischen Ausmaßes: Wir alle hier [...] mit einer Entschlossenheit, ja Freude hineingehen, wie ich sie nie erlebt habe, ja nie für möglich gehalten hätte.
Die Ernüchterung freilich ließ nicht lange auf sich warten: Kurz nachdem Hofmannstahl eingerückt war, verlangte sein Herz und Sinn nach Desertieren; der schnelle Gang ins Kriegsfürsorgeamt des Kriegsdienstes war dafür symptomatisch. [...] Inmitten eines Meeres von Schwierigkeiten, Confusionen und frevelhafter, nie zu verantwortender Kurzsichtigkeit erscheint es als eine Agonie, das Bettelarme im Sittlichen auszumerzen. Österreich, ein Hurra auf die törichte Sittlichkeit! Es ist wie Goethe sagt: Nur wer Geschichte erlebt hat, kann Geschichte verstehen.
Hofmannstahl begibt sich während des Krieges in neues Fahrwasser: "Er ist Realist, Politiker geworden, er will Wirkungen im Äußeren hervorbringen." Für den Lyriker wird es zunehmend relevanter, das unter einem übermächtigen Gewirr von Worten und unsicheren Begriffen sich leise wegstehlende Lebendige, Anstrebenswerte in seiner Ursprünglichkeit zurückzugewinnen, indem er die Angelegenheiten der Epoche zu seinen eigenen macht. Das Verständnis des Politischen ist dabei folgendes: Abzielen auf Verständigung über das Wirkliche, darüber, wo das Entscheidende wirklich zu finden ist, ergo die Verbindung der Sittlichkeit mit dem Materiellen in der Realpolitik.
Hofmannsthal ist bestürzt vom Verkauf von Kriegskarten, dem Boykott fremder Sprachen, einer Borniertheit des Nationalistischen und postuliert aufbauen, nicht einreißen und verweist dabei auf die Sittlichkeit, den Schöpfergeist der Weisheit.
Gleichzeitig feiert er das Andenken an große, österreichische Persönlichkeiten (Prinz Eugen), die Wiedergeburt des theresianischen Wiens, eines Hortes der Humanität der Österreicher, die Epoche des Klassizismus in Österreich: Maria Theresia [...], jenes Janusgesicht der guten und großen Fürsten, die [...] die Vergangenheit festhalten und in die Zukunft vorausblicken. Maria Theresia ist stilisierte Figur der schöpferischen Restauration, der konservativen Revolution.
Die durch Hofmannsthal bereits zu Beginn des Krieges ins Auge gefassten Publikationen ranken sich um die Thematik einer "näheren humanen Verbindung unter den Provinzen der Monarchie als auch ein Zusammenwirken vieler voneinander entfernter, an der öffentlichen Wohlfahrt teilnehmender Männer". Die Embryonen dieser Kooperation von Hofmannsthal mit angesehenen Größen wie Max Mell, Felix Braun oder Stefan Zweig: eine offene Bekundung für das Wohle Österreichs und der ihr immanenten Sittlichkeit, Geschichtsträchtigkeit, verfrachtet in den Sammlungen der "Österreichischen Bibliothek" und einem österreichischen Almanach, in dem zusammengetragen werden [müßte], was an tausend Stellen dem Leben selber entfließt, wie Harz den angeschnittenen Bäumen. Die Honorierung der Zeitgenossen allerdings war latent. Hofmannstahls Beschäftigung mit dem Schatz der fast versunkenen Kultur führte ihn auch zu einem - aus seiner Sicht zwiespältigen Thema -: dem Verhältnis des Österreichers zum Preußen, gekennzeichnet durch eine jahrhundertealte sprachliche Verbundenheit (Nation!), zerrüttet durch einen jahrzehntelangen Dualismus: [...] uns Österreicher und Euch Deutsche bindet freilich die eine Sprache [...] aber innerhalb der gleichen Sprache trennt uns vieles. Gleichzeitig schwelgt er in der Hoffnung auf die Harmonisierung: Das völlig gerade, das Treuherzige [...], das rastlos Strebende [...] - eine herrliche Ahnung von deutscher Art ist mir aus dieser Begegnung aufgegangen. Um wie viel ärmer [...] hätte ich bleiben müssen [...].
Hofmannsthal konserviert dieses Gefühl der Affinität zur österreichischen Dichtung auch während des Krieges, er nennt dies selbst den praktischen Austriazismus - Nicht ohne diese beiden Genien entsteht ein nationaler Mythos, [...] ein gewecktes und reiches nationales Bewußtsein -, der aber nicht die niederträchtige Seele des fanatischen Nationalisten verkörpert. Er sieht in Österreich das Wertvolle, Denkmalbehaftete: die Züge eines höheren Deutschtums, die lebendige Idee einer alten Universalmonarchie, tief verwurzelt im tausendjährigen Ringen um Europa, [...] tausendjährigem Glauben an Europa. [...] Für uns ist Europa die Farbe der Sterne, wenn aus entwölktem Himmel wieder Sterne über uns funkeln. Hofmannsthals Bestürzung (er wird auch Opfer der Bettelhaftigkeit unserer Situation, die einen Menschen [...] zum absoluten Bettler reduciert) kulminiert mit der Zersplitterung Österreichs 1918; der Raub dieser Wurzel, dieser Verankerung befähigt ihn, seine ganze Leidenschaft zu opfern für das Geistige der Nation und Europas. Exemplarisch dafür ist der Umgang mit dem Schrifttum, das er wiederbeleben wollte: Kulturpolitik zu betreiben in den Höhen der Reinheit und des untrüglichen Maßes der Sprache.
Eine ganze Phalanx von Schriften werden in der Folgezeit von der "Bremer Presse" herausgegeben: das "Deutsche Lesebuch", die Sammlung "Deutsche Epigramme", "Wert und Ehre deutscher Sprache", eine neu redigierte Fassung "Schillers Selbstcharakteristik", eine mehrbändige Ausgabe von Gedichten, Dramen und Schriften aus der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts, eine Darstellung des Verhältnisses der Deutschen zur Antike - "Die Antike der Deutschen" - und weitere Reihen, deren Aufzählung die ganze Sache banalisieren würde. Der Wille zu geistigem Dienst und tätiger Sprachliebe freilich bildeten Prämissen der Publikationen.
Sei es, wie es sei: Bei der Setzung von Kosmos gegen Chaos ist das Vorhandensein von Sprachdenkmälern und Volksdialekten unveräußerlich, weil bindend für den Begriff der Nation. Das "Endziel" dieser konservativen Revolution ist freilich die Form, eine neue deutsche Wirklichkeit, an der die ganze Nation teilhaben könne, zu bilden. Der Fratze der Reaktion maßen in dieser Beziehung einzig "Oppositionelle"(!) wie in Gestalt von Thomas Mann eine suspekte Gefahr bei.
Der Huldigung der Person Hofmannsthals nimmt sich Ernst Robert Curtius 1931 in der Schrift "Abbau der Bildung" an: "Er hat das Ohr der Jugend nicht mehr erreichen können, denn die Jugend hat sich ja längst selbständig gemacht und liest nur noch das, was in bündischen oder parteipolitischen Vereinsblättchen empfohlen wird. Für mich bedeutet der Tod Hofmannsthals (15. Juli 1929) zusammen mit den spärlichen Ansätzen zu einer deutschen Vergil-Ehrung im Jahre 1930 den bis auf weiteres definitiven Abschluß der deutschen Bildungskultur." Wie wahrhaftig schrecklich ist diese Sentenz, die sich in der Indoktrination der Jugend durch die diversen, radikalen Ideologien reflektiert.
Foto: Walter Anton / CC BY-SA
Es ist dem geneigten Leser vielleicht erstaunlich vorgekommen, vielleicht hat er auch gestutzt über die in diesem "Pamphlet" dargelegten Aspekte des Lebens Hofmannsthals, die wahrlich in keiner Weise das Aufbegehren eines der jüdischen Identität verpflichteten Menschen skizzieren gegen eine morbide Gesellschaft, die den Judenhass zu ihrer Komödie stilisiert, aber: Hofmannsthal kennt diesen Antisemitismus nicht (oder zumindest nur sporadisch), Hofmannsthal wächst in einem postfeudalen Wien auf, das noch die barocke und theresianische Silhouette nach außen abstrahlt, Hofmannsthal widmet sich mit ganzer Kraft dem Erhalt der deutschen Sprache, Hofmannsthal ist bestürzt vom Untergang Österreichs. Ist es da noch paradox, ein (nach außen hin) Nicht-Jude zu sein, obwohl das Jüdische seiner Vererbung nach immanent ist?
Ein gewisser Isaak Löw Hofmann, später tituliert als "Edler von Hofmannsthal", kam 1792 nach Wien und stieß somit wieder einmal das Zahnradgetriebe einer Assimilation an, das mannigfaltig in jüdischen Familien einer philantrophischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts durchgeführt wurde. Isaak Hofmann war gekrönter Adeliger, der als Kaufmann und Mensch eine ungeheuerliche Wertschätzung erlangte, nicht nur wegen seiner sozialen und israelitischen Engagements.
Des Sohn des "Edlen" führte die Bonität des kaufmännischen Unternehmens weiter - und unternahm die notwendigste Notwendigkeit seiner Lebtage: Er trennte sich mit Hilfe seiner Heirat mit der "herzoglichen" Antonia Cäcilia von seinem Judentum und konvertierte zum Katholizismus. Den endgültigen Bruch schaffte wohl der Sohn des besagten August Emil und Vater des Dichters Hugo August Peter: Er verheiratet sich mit der Tochter eines Richters und k.k. Notars.
Durch geschickte Heiratspolitik konnte ergo die Loslösung von der "Sünde" Jude-Sein geschaffen werden. Was sich aber im tiefsten Inneren Hofmannsthals vollzog, welche Bindung er wirklich zum Judentum hatte, bleibt spekulativ.
Die innerhalb dieser Darstellung skizzierten Werke des Lyrikers und Dramatikers Hugo von Hofmannsthal sind eine "kleine", dem Verfasser relevant erschienene Auswahl, deren Inhalt und kulturelle Bedeutung nicht nur das Lebenswerk des Künstlers offenbarten, sondern auch einen Beitrag zum Verständnis der (endzeitlichen) Situation einer Welt, die in ihren Grundfesten der Demontage geopfert wird, darstellten.
Darin spiegelt sich auch Hofmannsthals Assimilation wieder: in der Hoffnung, die Tradition eines alten, ja fast obsoleten, monarchischen Weltausschnittes zu konservieren für die Sittlichkeit der Welt und nicht zuletzt dem Prinzip der Treue wegen.
verfasst von: Kai S.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2001/2002
Quellennachweis:
Bildmonographie Hugo von Hofmannsthal (rm 127). Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Juli 1967. [Herausgeber: Kurt Kusenberg, Redaktion: Beate Möhring]
S. 7, 8, 9, 12, 13, 15, 17, 18, 19, 20, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 40, 41, 42, 44, 45, 46, 55, 56, 57, 58, 61, 63, 64, 65, 72, 74, 92, 93, 94, 95, 96, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 108, 109, 110, 111, 112, 115, 116, 118, 122, 123, 125, 126, 130, 131, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 159, 161, 162, 166
Kursiv Geschriebenes bezieht sich auf Äußerungen oder schriftliche Fixierungen Hofmannsthals, deren Originalquelle aufgeführt ist in der vorliegenden Bildmonographie.