Glikl bas Judah Leib

Glikl bas Judah Leib ist fälschlicherweise auch unter dem Namen Glückel von Hameln bekannt. Sie nannte sich selbst "Bas Judah Leib" nach ihrem Vater. Glikls Vater, Juda Joseph ben Nathan (er lebte von ca. 1595 bis 6. Januar 1670), auch als Leib oder Löb Pinkerle oder Staden bekannt, war ein angesehener Diamantenhändler und Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Altona (Hamburg). Geboren wurde Glikl vermutlich 1647 in Hamburg, und sie verstarb am 19. September 1724. Sie war eine deutsche Kauffrau und die erste Frau in Deutschland, die eine erhaltene Autobiografie verfasste.

Leben und Wirken

Bertha Pappenheim (1859-1936) im Kostüm der Glikl bas Judah Leib.

Glikl bas Judah Leib entstammte einer wohlhabenden aschkenasischen Familie und lebte unter komfortablen Bedingungen. Ihr Vater war erfolgreicher Diamantenhändler und leitete die jüdische Gemeinde in Altona. Ihr Bruder Awraham Binjamin Wolf war Tora Gelehrter. Bis 1712 waren die aschkenasischen oder deutschen Juden gegenüber den Sepharden benachteiligt und hatten in der Stadt keine eigene Synagoge. Aufgrund der Vertreibung deutscher Juden aus Hamburg, die sich ohne besondere Erlaubnis in der Stadt niedergelassen hatten, musste Glikl mit ihrer Familie eine Zeitlang in Altona leben.

Mit 14 Jahren wurde Glikl mit Chajim von Hameln oder Goldschmidt verheiratet, einem Verwandten des wohlhabenden Hamburger Kaufmanns Chajim Fürst. Er stammte aus einer der ältesten und bedeutendsten jüdischen Familien Norddeutschlands. Sie hatte vierzehn Kinder, von denen zwölf das Erwachsenenalter erreichten und heirateten.

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1689 führte Glikl sein Geschäft alleine weiter und wurde eine äußerst erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie handelte mit Städten wie Paris, Amsterdam, Wien und Leipzig, betrieb neben dem Diamanten- und Perlenhandel auch die Herstellung von Strümpfen in Hamburg. Ihr gelang es, den Wohlstand ihrer Familie zu vermehren und ihre Kinder in wohlhabende Familien einzuheiraten. Sie unterstützte ihre Kinder und deren Ehepartner bei der Gründung von Geschäften. Ihr Sohn Sanwil (Samuel) wurde von seinem Schwiegervater aufgenommen und zum Rabbiner ausgebildet. Viele ihrer Söhne wurden erfolgreiche Kaufleute in Hamburg, Kopenhagen und London. Ihr jüngster Sohn Moses wurde Hoffaktor und Landesrabbiner in Ansbach. Im Jahr 1700 heiratete sie Hirsch Isaac Levin Rabbin, einen reichen Bankier und Gemeindevorsteher in Metz (Frankreich). Obwohl sie durch seinen geschäftlichen Zusammenbruch in Armut fielen, nahm Glikl eigenständig die Handelstätigkeit wieder auf.

Autobiografie

Glikl bas Judah Leib verfasste für ihre Kinder ihre Lebensgeschichte. Diese Autobiografie wurde in jiddischer bzw. westjiddischer Sprache verfasst. Jiddisch, auch als Jüdischdeutsch oder Judendeutsch bekannt, ist eine tausend Jahre alte Sprache, die von aschkenasischen Juden in weiten Teilen Europas gesprochen und geschrieben wurde. Ein Teil ihrer Nachfahren verwendet diese Sprache noch heute. Die Aufzeichnungen begannen im Jahr 1691 und stellen die erste erhaltene und bekannte Autobiografie einer Frau in Deutschland dar. Bis heute dient sie als bedeutende Quelle für die Erforschung der deutsch-jüdischen Geschichte und Kultur. Die Autobiografie umfasst insgesamt acht Bücher.

Im ersten Buch findet man moralisch-theologische Abhandlungen, in denen Glikl ihre Kinder zu Geduld und Gottvertrauen aufruft. Glikl präsentiert sich selbst als belesene und gebildete Frau, die neben Jiddisch auch Deutsch sprach und (ungewöhnlich für eine Frau) über Kenntnisse des Hebräischen verfügte, wie durch zahlreiche hebräische Formulierungen und Ausdrücke in ihren Büchern belegt wird.

Ab dem zweiten Buch erzählt Glikl chronologisch ihr Leben, jedoch ohne genaue Datumsangaben. Sie berichtet ausführlich über ihre Handelsgeschäfte sowie die Betrügereien, denen sie, ihr Mann und später auch ihr Sohn ausgesetzt waren. Dabei nennt sie viele Namen, aus denen sich ihr Netzwerk rekonstruieren lässt, darunter Hofjuden wie Samuel Oppenheimer und verschiedene Fürstenhöfe. Ihre Familie kommt in ihren Texten nicht zu kurz. Es lassen sich dadurch engere familiäre Verbindungen zu einigen der einflussreichsten und wohlhabendsten jüdischen Familien wie Goldschmidt, Gomperz und Oppenheimer ziehen.

In ihren Büchern integriert Glikl immer wieder Volksmärchen, Anekdoten und philosophische Überlegungen, die als Deutung ihrer eigenen Erfahrungen oder als Beispiele für moralische Ratschläge an ihre Kinder dienen. Diese Geschichten stammen größtenteils aus der jiddischen Literatur. Zudem fügt sie zahlreiche Gebete in ihre Texte ein, in denen sie sich als fromme Jüdin zeigt, die trotz der Enttäuschung durch Schabbtai Zvi auf den Messias hoffte.

Die Autobiografie von Glikl ist eine einzigartige Quelle für das Leben der wohlhabenden jüdischen Oberschicht in Norddeutschland im 17. Jahrhundert. Sie beschreibt häusliche Szenen, die Erziehung ihrer Söhne (nicht der Töchter), ihre Geschäftsbeziehungen und -reisen. Glikl gibt auch Dialoge mit ihren Ehemännern wieder, die belegen, dass ihre Beziehungen sowohl in privaten als auch geschäftlichen Bereichen weitgehend gleichberechtigt waren. Sie thematisiert immer wieder die gefährdete Situation der Juden und lobt das dänische Königshaus für die Sicherheit, die es den Juden in Altona gewährte.

Bedeutung

Im Jahr 1910 wurden Glikls Memoiren durch Bertha Pappenheim aus dem Westjiddischen übersetzt und veröffentlicht. Bertha Pappenheim war die Gründerin des Jüdischen Frauenbundes in Deutschland und eine entfernte Verwandte von Glikl bas Judah Leib.

„Hinausblickend über die Sorgen des Alltags, die für Juden der damaligen Zeit fast erdrückend waren, erscheint uns Glückel von Hameln als kluge, starke Frau, die trotz des Herzeleides, das sie erlebte, trotz der schweren Schicksalsschläge, die sie erduldete, aufrecht blieb.“ – Bertha Pappenheim

Die Autobiografie von Glikl diente als Grundlage für sprachwissenschaftliche Studien. Das Jüdische Museum Berlin widmete der hamburgischen Kauffrau ein eigenes Kapitel und verdeutlichte anhand ihres Lebens die Herausforderungen vor der jüdischen Emanzipation und der Integration der Juden in die Nation. Seit 2016 erinnert eine Glückel-von-Hameln Straße in Hamburg-Altona-Nord an ihr Vermächtnis.

Zu den zahlreichen Nachkommen Glikls gehören neben Bertha Pappenheim auch Ludwig und Rudolph Bamberger sowie Heinrich Heine.


gestaltet von Lilly R. im Schuljahr 2023/2024

Abbildungen:
Gemälde Leopold Pilichowski (1869–1934), Public domain, via Wikimedia Commons
Das Original des Bildes ist verschollen. Reproduktionen sind enthalten im ersten Kalender des Jüdischer Frauenbund (1925) und in den Blättern des Jüdischen Frauenbundes (Ausgabe 4. April 1932). Zu beachten sind die schönen Spitzenmanschetten: Bertha Pappenheim war bekannt als Sammlerin schöner Handarbeit, insbesondere von Spitzen. Der Text im Hintergrund lautet in Umschrift: Zikron marat Gliql Hamil (jiddischer Titel der Erinnerungen der Glikl von Hameln, die Bertha Pappenheim übersetzt hatte).