Ignatz Bubis

Ignatz Bubis
Ignatz Bubis spricht in der Aula des LGD (März 1999)

1927
12. Januar:
Ignatz Bubis wird als siebtes Kind des Schifffahrtsbeamten Jehoshua Josef Bubis und seiner Frau Hannah, geb. Bronspiegel, im schlesischen Breslau (heute Wroclaw/Polen) geboren.

1935
Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers verläßt die Familie aus Angst vor den beginnenden antisemitischen Übergriffen Breslau und siedelt in die polnische Kleinstadt Deblin an der Weichsel über.

1939
Der Besuch des Debliner Gymnasiums wird durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhindert. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen besucht Bubis einige Wochen die siebte Klasse der Volksschule, bevor auch diese für Juden verboten wird.

1941
Februar:
Mit 14 Jahren muss Bubis auf Befehl der Nationalsozialisten mit seinem Vater ins Debliner Ghetto ziehen. Seine Mutter ist zwei Monate zuvor an Krebs gestorben. Bubis arbeitet im Ghetto als Postbote.

1942
Oktober:
Bubis Vater wird in das Konzentrationslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Auch zwei seiner Geschwister kommen durch die Nationalsozialisten um.

1944
Juni:
Bubis wird in ein Arbeitslager in Tschenstochau (heute Czestochowa) deportiert, drei Tage bevor die Rote Armee Deblin erreicht.

1945
16. Januar:
Tschenstochau wird von der Roten Armee befreit. Bubis zieht gemeinsam mit anderen ehemaligen Lagerinsassen nach Lublin und versucht dort, den Verbleib seiner Familie zu ermitteln. Er findet jedoch nur seinen Onkel Leib Bronspiegel und dessen Familie wieder. Nach einer Zwischenstation in Lodz, wo er mit Pferden handelt, um sein Überleben zu sichern, gelangt Bubis über Breslau und Dresden nach Berlin. Dort trifft er wieder mit seinem Onkel zusammen. Entgegen dessen Wunsch entscheidet sich Bubis dafür, in Deutschland zu bleiben und nicht mit ihm in die USA auszuwandern.

ab 1946
Seinen Lebensunterhalt verdient Bubis durch Tauschhandel. Er richtet mehrere Läden in Dresden ein, in denen er Wertgegenstände gegen Lebens- und Genussmittel eintauscht. Bubis pendelt zwischen der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und Berlin.

1949
Bubis muss aus der SBZ nach West-Berlin flüchten, da er von der sowjetischen Geheimpolizei gesucht wird. Später erfährt er, daß er beschuldigt wurde, Kaffee in großen Mengen schwarz verkauft zu haben.

Ignatz Bubis
Ignatz Bubis spricht in der Aula des LGD (März 1999)

ab 1950
Bubis betätigt sich mit Freunden in Stuttgart und Pforzheim im Edelmetallhandel. Er erhält von den Besatzungsmächten eine Ausnahmegenehmigung für den Handel mit Gold und damit eine Monopolstellung in der Belieferung der Edelmetallindustrie.

1953
Nach der Aufhebung des Edelmetallhandelsverbots und dem darauf folgenden Wegfall der Monopolstellung von Bubis Firma, beginnt Bubis Goldschmuck aus Italien zu importieren.
Mai: In Paris Heirat mit Ida Rosenmann, die er aus seiner Kindheit in Deblin kennt. Aus der Ehe geht eine Tochter, Naomi Ann (geb. 1963) hervor.

1956
Bubis und seine Frau ziehen nach Frankfurt/Main. Seine Gewinne investiert Bubis in der Immobilienbranche, bis er sich schließlich ganz diesem Geschäftszweig widmet und den Schmuckhandel seiner Frau überlässt.

1965
Bubis kandidiert zum ersten Mal für den Gemeinderat der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt/Main, der zweitgrößten jüdischen Gemeinde in Deutschland, und wird auf Anhieb gewählt. Er wird zunächst stellvertretendes und zwei Jahre später ordentliches Vorstandsmitglied.

1969
Eintritt in die FDP (Freie Demokratische Partei), Bubis Parteiarbeit beschränkt sich zunächst auf den Frankfurter Kreisverband und bedingt auf die Landesebene.

Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre
Bubis wird in den Frankfurter Häuserkampf verwickelt: Er gehört zu den Investoren, die für Immobilienprojekte im Frankfurter Westend die Genehmigung der Stadt erwirken, die ursprüngliche Bebauung abzureißen. Bis zu ihrem Abriss vermieten Bubis und seine Partner die Häuser kurzfristig an Studenten. Diese erklären die Häuser für besetzt und weigern sich, sie zum Abriss freizugeben, unterstützt durch Bürgerinitiativen und Politiker. Bubis gerät ins Schussfeld der öffentlichen Kritik und der Medien, er wird als "skrupelloser Spekulant" dargestellt. Er selbst charakterisiert die Kampagne, die sich vornehmlich gegen jüdische Unternehmer richtet, als "Antisemitismus aus der Richtung der politischen Linken". Erst im Februar 1974 werden die Gebäude schließlich geräumt, Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Polizei folgen. Bubis verliert durch die Ereignisse fast sein gesamtes Vermögen und muss das Projekt im Westend verkaufen. Während des Konfliktes legt Bubis seine Ämter in der jüdischen Gemeinde nieder.

ab Mitte der 70er Jahre
Bubis verstärkt sein Engagement in der FDP Er wird in den Frankfurter Kreisvorstand, später in den Landesvorstand und schließlich zum Bundesparteitagsdelegierten gewählt. Er wendet sich gegen Tendenzen, die Partei weiter nach rechts auszurichten.

Ende der 70er Jahre
Bubis kann sein Unternehmen wieder stabilisieren. Er führt die Immobilieninvestitionen im Ausland, die er bereits vor dem Häuserkampf begonnen hatte, fort und beteiligt sich unter anderem an Hotelbauten in Israel und im Iran.

1978
Bubis übernimmt wieder verantwortliche Funktionen in der jüdischen Gemeinde in Frankfurt/Main: Er wird zum Vorstandsvorsitzenden gewählt und in das Direktorium des Zentralrates der Juden in Deutschland delegiert. In diesen Positionen verfolgt er sein Engagement für die Gründung jüdischer Einrichtungen in Frankfurt weiter und setzt sich für den Bau eines Jüdischen Gemeindezentrums sowie die Errichtung eines Altenheims und eines Kindergartens ein.

1979
In der Debatte über die Verjährung nationalsozialistischer Verbrechen tritt Bubis massiv für die unbeschränkte Strafbarkeit der Ermordung von Menschen ein.

1985
Januar:
Bubis wird in den Verwaltungsrat des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt. Als an der Frankfurter Schaubühne das vielfach als antisemitisch empfundene Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" von Rainer Werner Fassbinder uraufgeführt werden soll, ist Bubis unter den protestierenden Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, die die Bühne besetzen und damit die Aufführung verhindern. Hauptperson des Stückes ist ein jüdischer Spekulant, für den - so die Meinung vieler - Bubis als lebendes Vorbild diente. Schließlich wird eine weitere Aufführung des Stückes in Frankfurt untersagt.

1987-1992
Leitung des Rundfunkrats des Hessischen Rundfunks.

1989
Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Bubis besucht das Konzentrationslager Treblinka, in dem sein Vater ermordet wurde. Dieses Erlebnis bringt ihn dazu, über die eigenen Erfahrungen während des NS-Regimes zu sprechen.

1992
Juli:
Heinz Galinski, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, stirbt. Bubis wird zu seinem Nachfolger gewählt und damit höchster Repräsentant der Juden in Deutschland, nachdem er 1991 mit seiner Kandidatur gegen Galinski gescheitert war. Bubis wird bald als Mann des Ausgleichs bekannt. Er knüpft schnell Kontakte und sucht das Gespräch auch mit Andersdenkenden. Durch seine starke Medienpräsenz findet Bubis für jüdische Belange eine neue Öffentlichkeit und wird von der FAZ als "Stimme des Gewissens" bezeichnet. Er selbst empfindet seine Aufgabe als "Wächter-Amt". Bubis' Amtszeit wird früh von Ausbrüchen von Fremdenhass und Antisemitismus begleitet. Bubis fordert deshalb immer wieder die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze und nimmt an Mahndemonstrationen teil. Auch Bubis persönlich erhält häufig Drohbriefe. Behauptungen, er sei als Jude kein Deutscher, sondern Israeli, begegnet er mit der Feststellung, daß das Judentum keine nationale Prägung, sondern eine Glaubensfrage sei. Immer wieder bringt er seine Identifizierung mit der deutschen Staatsbürgerschaft zum Ausdruck. Gleichzeitig versucht Bubis dem Unverständnis der israelischen Juden für den Wunsch ihrer deutschen Glaubensgenossen, in Deutschland zu leben, entgegenzuwirken und das Deutschlandbild in Israel zu verbessern. In seine Amtszeit fällt außerdem die Integration tausender jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion.

1993
Bubis wird von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ins Gespräch gebracht. Die neugegründete Zeitschrift "Die Woche" greift diesen Vorschlag als Schlagzeile ihrer ersten Ausgabe auf. Bubis selbst weist aber Spekulationen um seine Kandidatur zurück. Er hält die Zeit für noch nicht reif dafür, daß ein Jude Bundespräsident werden kann. Seine Gesprächsbiographie "Ich bin ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" erscheint.

1995
Bubis nimmt als Mitglied der Delegationen verschiedener Politiker an mehreren Reisen nach Israel und in den Nahen Osten sowie an Gedenkfeiern zur Befreiung der Konzentrationslager teil.

1996
Der Besuch bei Verwandten in Sao Paulo/Brasilien, von deren Existenz Bubis zufällig durch den Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem erfährt, konfrontiert Bubis erneut mit seiner Vergangenheit. Das Verdrängen seiner Erlebnisse, das für ihn jahrelang ein "überlebensnotwendiger Selbstschutz" war, fällt ihm immer schwerer. Er stellt von da an vieles, was ihm vorher wichtig war, wie das Leben als Jude in Deutschland und seine Aufgabe als Zentralratsvorsitzender, in Frage und reagiert gereizter auf intolerante Äußerungen. Ein Foto seiner Nichte Rachel, die in Polen von den Nationalsozialisten ermordet wurde, trägt Bubis von nun an immer bei sich. Bubis Autobiographie "Damit bin ich noch längst nicht fertig" erscheint. Zum 1992 verliehenen Bundesverdienstkreuz 1. Klasse erhält Bubis nun das Große Bundesverdienstkreuz.

1997
Januar:
Für eine weitere Amtszeit an der Spitze des Zentralrats der Juden in Deutschland wird Bubis einstimmig bestätigt. Gleichzeitig wird seine Funktion von der eines Vorsitzenden in die eines Präsidenten des Zentralrates umbenannt. Im März tritt Bubis als Frankfurter Spitzenkandidat für die hessischen Kommunalwahlen an und verhilft der FDP zur Rückkehr in den Stadtrat.

1998
Februar:
Innerhalb der Debatte um das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin spricht sich Bubis gegen eine weitere Verzögerung des Baus aus und betont, daß das Mahnmal eine deutsche Angelegenheit sei. Er wehrt sich gegen eine aufgedrängte Rolle als "Obergutachter". Gleichzeitig weist er auf die größere Wichtigkeit von Gedenkstätten an den Orten des Holocausts gegenüber Denkmälern hin. Mit der Verleihung des Goldstein-Preises durch das israelische Parlament wird Bubis Engagement für die deutschen Juden gewürdigt.
Juni: Wiederwahl als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main.
Oktober: Der Schriftsteller Martin Walser thematisiert in seiner Rede anlässlich des ihm verliehenen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels unter anderem den individuellen und kollektiven Umgang der Deutschen mit der Erinnerung an den Holocaust und spricht von der "Moralkeule Auschwitz". Bubis wirft Walser daraufhin vor, er habe als "geistiger Brandstifter" für eine "Kultur des "Wegschauens und Wegdenkens" plädiert und stehe damit im Trend eines "unterschwelligen Antisemitismus". In der Folgezeit entsteht eine kontrovers geführte öffentliche Debatte. Der Streit wird durch eine Aussprache Bubis und Walsers am 12. Dezember in der Redaktion der FAZ weitestgehend beigelegt.

19.Oktober: Bubis wird Präsident des European Jewish Congress.

Ignatz Bubis
Ignatz Bubis mit dem Schulleiter des LGD, Herrn Kindermann (März 1999)

1999
Ende Juli gibt Bubis sein letztes Interview, das im "Stern" veröffentlicht wird. "Fast nichts" habe er in seiner Amtszeit als Präsident des Zentralrats der Juden bewirkt. Jüdische und nichtjüdische Deutsche seien einander fremd geblieben, so sein resigniertes Fazit. Trotzdem kündigt er seine erneute Kandidatur für das Amt des Zentralratsvorsitzenden an.
13. August: Ignatz Bubis stirbt im Alter von 72 Jahren an Knochenkrebs. Er wird auf seinen Wunsch hin in Israel beigesetzt, da er verhindern wollte, daß sein Grab wie das seines Vorgängers Galinski geschändet wird. Als Vertreter Deutschlands nehmen Bundespräsident Johannes Rau, Bundesratspräsident Roland Koch und Innenminister Otto Schily sowie Vertreter verschiedener jüdischer Gemeinden an der Beerdigung in Tel Aviv teil. Unmittelbar nach dem Begräbnis schändet der israelische Künstler Meir Mendelssohn das Grab mit schwarzer Farbe, um seiner schlechten Meinung von Bubis Ausdruck zu geben.

verfasst von: Sebastian V.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2000/2001

Quelle: Autobiographie "Damit bin ich noch längst nicht fertig"; Internet

Die Walser-Bubis Debatte

Vor kurzem begann ich das Buch "Was bleibt von der Vergangenheit? Die junge Generation im Dialog über den Holocaust" zu lesen, in diesem Buch werden verschiedene Meinungen junger Leute über den Holocaust dargestellt. Als Vorwort war eine Rede von Roman Herzog, anlässlich des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz, zu lesen. In dieser Rede sprach er unter anderem die Walser- Bubis- Debatte an und wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich diese Formulierung zwar schon einmal gehört, aber etwas genaues konnte ich mir darunter nicht vorstellen. Deswegen fing ich an, mich in meinem Umfeld umzuhören. Ich stellte aber fest, dass es den meisten genauso ging wie mir: sie kannten diesen Ausdruck und wussten dass dieser im Zusammenhang mit dem Holocaust steht, aber welche Fakten und Einzelheiten dahinter stehen, konnte mir keiner sagen. Deswegen nutzte ich die Chance im Rahmen der Hausarbeit, im Fach "Jüdischer Geschichte", dieses Thema näher zu beleuchten und anderen Menschen einen kurzen Überblick über diese Kontroverse zu ermöglichen.

Als erstes möchte ich kurz den zeitlichen Rahmen der Debatte nachzeichnen. Am 11.Oktober 1998 wurde der Autor Martin Walser mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. In seiner Dankesrede kritisierte Walser die "Instrumentalisierung" von Auschwitz und behauptete, die permanente Thematisierung des Holocaust erziele letztlich den Effekt des Wegschauens (dazu später mehr). Die Rede löste eine öffentliche Kontroverse mit Ignatz Bubis, dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Am 12.Oktober 1998 warf Bubis Walser "geistige Brandstiftung" vor (auch dazu später mehr). Am 26.November 1998 kam es zu einer ersten öffentlichen Stellungsnahme Walsers zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Er betont, nicht von einem unter die Geschichte zu ziehenden "Schlussstrich" gesprochen zu haben. In der weiteren Debatte wirft Bubis Walser und dem früheren Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohanyi (geb.1928), der den Schriftsteller verteidigt hatte, "latenten Antisemitismus" vor. Am 12. Dezember 1998 trafen sich Walser und Bubis zu einem Gespräch, in dem sie den Streit um Walsers Friedenspreisrede beilegen. Bubis nimmt den Vorwurf der "geistigen Brandstiftung" zurück, betont aber die Missverständlichkeit der Walserschen Äußerungen, wohingegen Walser auf der Unmissverständlichkeit seiner Rede besteht. Übereinstimmung finden beide in der Auffassung, dass es für den Umgang mit der deutschen Vergangenheit noch keine angemessene Sprache gefunden sei.

Als nächstes möchte ich diese chronologische Wiedergabe der Debatte mit Zitaten verbildlichen. Wie bereits oben genannt, waren Teile der Dankesrede Walsers Anstoß für die Debatte. Nachfolgend zitiere ich einen besonders brisanten Teil der Rede:

"Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag an dem sie uns nicht vorgehalten wird. Könnte es sein, dass die Intellektuellen, die sie uns vorhalten, dadurch, dass sie uns Schande vorhalten, eine Sekunde der Illusion verfallen, sie hätten sich, weil sie wieder im grausamen Erinnerungsdienst gearbeitet haben, ein wenig entschuldigt, seien für einen Augenblick sogar näher bei den Opfern als bei den Tätern? (...)
Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz, kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum, wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation dieser Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen. Wenn ich merke, dass sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hin abzuhören und bin fast froh, wenn ich glaube, entdecken zu können, dass öfter nicht mehr das Gedenken, dass Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken. Immer guten Zwecken, ehrenwerten. Aber doch Instrumentalisierung. (...)
In der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin kann die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten. Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßem Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande."

Als Reaktion auf die Rede von Walser kam es wie bereits erwähnt zu der Debatte zwischen Walser und Bubis. Das besondere dieser Debatte war aber, dass sich die beiden Hauptpersonen erst am Ende persönlich gegenüber standen. Vorher fand das Streitgespräch nur über diverse Interviews und Stellungsnahmen statt, so sagte Bubis z.B. in einem Spiegel-Interview: "Walser liefert den Rechtsextremisten die Munition und wird ernst gekommen" (Spiegel 49/1998). Infolge der Diskussion gab es auch viele Kommentare, u.a. von jüdischen Studenten im Spiegel (Der Spiegel 50/1998) und von dem Autor Dietrich Schwanitz. Friedensnobelpreisträger und Auschwitzüberlebender Elie Wiesel verfasste einen offenen Brief an Martin Walser. Ein Ende der Debatte und ein direktes Gespräch zwischen Bubis und Walser fand am 12. Dezember statt. Im Laufe des Gespräches wird klar, dass die Debatte auf Missverständnissen beruht. Walser stellt klar, dass er keineswegs antisemitisch klingen wollte. Er vertrete bloß die Meinung, dass es jedem Individuum freigestellt werden sollte, wie es sich mit dem Holocaust auseinandersetzt. Bubis stimmte diesem zu, sagte aber dass seine Rede dies nicht klar ausdrückt und betont dass nicht nur er die Rede fehlinterpretiert hat. Außerdem traf Bubis folgende Aussage: "Den Begriff Keule in Zusammenhang mit Auschwitz zu gebrauchen ist für mich erschreckend. Moralkeule- jemand hat mal Auschwitzkeule gesagt. Sie haben gesagt: Auschwitz als Moralkeule. Für mich ist Moral niemals mit dem Wort Keule verbunden." Bubis vertrat ebenfalls die Meinung, dass es Menschen auch gestattet sein müsse dem Holocaust in der Öffentlichkeit zu gedenken, ohne dass dies als Beschuldigung aufgefasst wird und man ein schlechtes Gewissen haben muss. Walser betont immer wieder dass sein Sprachgebrauch nicht missverständlich gewesen sei und dass die Reaktionen gezeigt hätten, dass er mit seiner Meinung nicht alleine dasteht. Dabei betont er, dass es sich bei seinen Befürwortern um ernsthafte, intellektuelle und nicht rechtsextremistische Menschen handle.

Ich möchte noch ein paar Zitate aus dem Gespräch anbringen:

Ignatz Bubis: "Wenn man sich darüber unterhält, hat das nichts mit einer Beschuldigung der heutigen Generationen, und ich sage sogar: noch nicht einmal mit einer Beschuldigung der Generation, die damals gelebt hat, aber nicht schuldig geworden ist, zu tun"

"Ich zwinge keinen, so zu gedenken. Aber ich muss die Möglichkeit haben, am 9. November meine Empfindungen kund zu tun. Ich halte Aufklärung für wichtig und notwendig. Und das hat nichts mit Druck zu tun."

"Man erlebt jetzt eine Entlastung, man kann jetzt sagen, man habe jemanden, auf den man sich berufen kann, auf Martin Walser, einen unverdächtigen Mann."

Martin Walser: "Das können die Leute nicht mehr hören, diesen Generalverdacht. Mir kommt es vor, als sei die befreiende Wirkung dadurch entstanden, dass man die Bundesrepublik behandelt hat wie
einen Straftäter auf Bewährung."

"Das ist das Gewissensrisiko. Mir ist ein freies Gewissen, das zu inakzeptablen Ergebnissen kommt, lieber, als ein gebundenes Gewissen, das im Nachbeten von wohlempfohlenem sein Auskommen findet"

"Ich sage mal, egal ob man dafür oder dagegen war, das spielt dabei gar keine Rolle. Es muss einen Ausdrucksbedarf gegeben haben."

Das Ende und Fazit dieses Gespräches und damit auch das Ende der Debatte war, dass Bubis einsieht, dass Walser etwas anderes ausdrücken wollte. Er nimmt daher die Betitelung "geistiger Brandstifter" zurück. Bubis beharrt aber weiter auf der Missverständlichkeit der Rede: "Sie haben versucht, mich heute aufzuklären. Ich nehme es ihnen ab, dass sie die besten Absichten hatten, aber die Wirkung bleibt die gleiche. Wir müssen noch einen Weg finden für gemeinsames Erinnern. Wenn noch dieser Satz im Text ihrer Rede gestanden hätte, dann wäre alles ganz anders." Walser sagt Bubis braucht seinen Vorwurf nicht revidieren und bleibt bei seiner Meinung dass seine Rede nicht fehl zu interpretieren sei: "Und ich muss ihnen sagen, dass ich ihre Vermutung , das sei alles ein Missverständnis so sehr zurückweise, wie ich irgend kann. Ich bin nicht missverstanden worden" Auch wenn die zwei Parteien sich nicht wirklich einigen konnten, so lässt sich doch folgendes Fazit ziehen: Man muss noch eine angemessene Form der Erinnerung finden und daran sollte sich jeder beteiligen.

Ein Buch möchte ich für die empfehlen, die sich auch unabhängig von der Walser-Bubis Debatte mit dem Thema "Umgang mit den Holocaust" befassen wollen:
"Was bleibt von der Vergangenheit? Die junge Generation im Umgang mit dem Holocaust" - Christoph Links Verlag.


verfasst von Anne K.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2001/2002