Alfred Dreyfus
„J'accuse“ – die Dreyfus-Affaire
In Deutschland ist er weniger bekannt, in Frankreich kennen ihn viele – dabei ist Alfred Dreyfus‘ Geschichte mit Frankreich und Deutschland zu verbinden.
Alfred Dreyfus wurde 1859 in Mülhausen, Elsass-Lothringen, als Sohn einer jüdischen Familie geboren und starb 1935 in Paris. Er arbeitete sich in der französischen Armee bis zum Offizier hoch bis er 1894 wegen Landesverrat verhaftet wurde. Ihm wurde die Spionage für Deutschland vorgeworfen, was zu einer ursprünglich lebenslangen Verbannung auf die „Teufelsinsel“ bei Französisch-Guyana führte. Dank des Engagements seiner Familie, besonders seines Bruders, wurde sein Fall nie ganz zu den Akten gelegt und es fanden sich immer mehr Kritiker des Urteils. Nach einigen Jahren trat man mit gesammelten Beweisen, die für die Unschuld Dreyfus‘ sprachen, erneut in die Öffentlichkeit, welche schon beim ersten Urteil stark involviert, allerdings gegen Dreyfus. Letztlich wurde Dreyfus vollständig rehabilitiert.
Hintergründe der Affäre
1871 endete der Deutsch-Französische Krieg mit einer Niederlage für Frankreich, welche die folgenden Jahre prägen sollte. Deutschland wurde zum größten Feind Frankreichs, besonders auch, weil es Elsass-Lothringen erobert hatte. Frankreich definierte sich zu großen Teilen über seine Armee und zog starkes Selbstbewusstsein aus dieser. Die Niederlage gegen Deutschland bedeutete nun Unsicherheiten im Volk und dass die Armee Stärke beweisen musste. Der Generalstab hüllte sich aus Angst vor Spionage durch Deutschland in Geheimnisse und ließ kaum Informationen nach außen dringen. Weiterhin arbeiteten einige Militärs (z. B. Boulanger) gegen die neugegründete dritte Französische Republik und stürzten diese in enorme Krisen. Besonders ausschlaggebend für die Affäre um Dreyfus ist der Panama-Skandal. Für den Bau des Panamakanals wurden Kosten in Höhe mehrerer Milliarden angesetzt und ausgegeben. Dabei benötigte der tatsächliche Bau allerdings weniger als die Hälfte der Kosten. Den Rest des Geldes nutzen die Banken und Bauunternehmer persönlich. Unter diesen waren auch einige Juden. Als die tatsächliche Verwendung des Geldes rauskam, breitete sich enorme Unzufriedenheit aus, welche dann auf die Juden kanalisiert wurde. Bis dahin lebten die ca. 80 000 Juden recht gut integriert in Frankreich. Doch nun wurde der Antisemitismus entfacht.
Prozessverlauf
1894 fand eine Putzfrau, welche in der deutschen Botschaft in Paris als Spionin für Frankreich arbeitete, im Mülleimer des deutschen Oberleutnants von Schwartzkoppen das „Bordereau“, ein Dokument, welches Informationen über die neue hydraulische Bremse, Truppenaufstellungen, Artilleriebewaffnung und die nach Madagaskar geplante Expedition beinhaltete. Um an diese hochbrisanten Informationen zu gelangen, muss man Zugang zu Geheimdokumenten haben. Das heißt, man musste Mitglied des Generalstabs sein. Dass ein solches Dokument bei einem deutschen Oberleutnant gefunden wurde, kann nur eines heißen: Verrat und Spionage in den obersten Rängen des französischen Militärs. Der Täter musste so schnell wie möglich gefunden werden und es durften vorher keine Informationen an die Presse gelangen, um die Bevölkerung nicht unnötig zu beunruhigen, aber besonders auch, um die Macht des Militärs nicht weiter zu schwächen. Da das Bordereau weder datiert noch unterschrieben war, hatte man wenig, was auf den Verräter hinwies. Es wurden Handschriftenvergleiche durchgeführt und als man dabei eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Verräter-Handschrift und der von Alfred Dreyfus entdeckte, stand der Täter fest, auch da Dreyfus zusätzlich noch Jude war und aus dem jetzt deutschen Elsass-Lothringen stammte.
General Mercier trug diesen Verdacht an den Präsidenten Perier und Ministerpräsidenten Dupuy. Diese entschließen, die Angelegenheit im kleinen Ministerrat zu besprechen, welcher aus dem Ministerpräsidenten, dem Außenminister, dem Justizminister und dem Verteidigungsminister bestand. Der Außenminister stellt sich klar gegen jede weitere Ermittlung, da ihm die Beweislage zu gering und die Brisanz zu hoch ist. Geeinigt wird sich darauf, dass zwei weitere Experten die Handschriften vergleichen sollen. Als einer der Beiden den Verdacht bestätigt, lässt Mercier Dreyfus mit sofortiger Wirkung festnehmen. Kurz darauf gelangen erste Informationen an die Presse: "Landesverrat, Verhaftung des jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus" erscheint in der antisemitischen Zeitung „La Libre Parole“. Am 19.12.1894 beginnen die Verhandlungen des Kriegsgerichtes, welche am 22.12.1894 enden: „Alfred Dreyfus wird einstimmig zur Strafe der lebenslänglichen Deportation an einen befestigten Ort verurteilt. Das Gericht spricht dem Hauptmann Dreyfus seinen Rang ab und ordnet an, daß die Degradierung dieses Offiziers bei der ersten Parade der Garnison von Paris stattfinden soll, erklärt ihn seiner Dekorationen und Privilegien entkleidet, und ebenso des Rechts, jemals wieder die Waffen zu tragen.“ Zu diesem Urteil führte verstärkt ein Beweisdokument, welches General Mercier nachträglich einreichte. Heute weiß man, dass dieses Dokument vollständig gefälscht war und zur Machtsicherung Merciers dienen sollte, denn die Lage hatte sich zugespitzt: Entweder würde Dreyfus für schuldig erklärt und entsprechend verurteilt werden oder die Karriere Merciers hätte ein Ende.
Strafvollzug
Das Urteil des Gerichtshofes wird auf dem Hof der Militärschule vollzogen. Auch die Öffentlichkeit hat Einblick in den Hof.
Dreyfus wird von vier Wachen umgeben zu seiner Verurteilungsstelle geführt. General Darras wiederholt nach Erreichen der Mitte des Platzes das Urteil: „Dreyfus, Sie sind unwürdig, die Waffen zu tragen. Im Namen des französischen Volkes degradieren wir Sie!“, woraufhin seine Abzeichen von seiner Uniform gerissen werden und sein Degen zerbrochen wird. Als er zurück zu seiner Kutsche geführt wird, ruft er der zuschauenden Menge Unschuldsbeteuerungen zu: „Ich bin unschuldig, ich schwöre, daß ich unschuldig bin! Es lebe Frankreich!“, „Beim Haupte meiner Frau und meiner Kinder schwöre ich, daß ich unschuldig bin!" Die Bevölkerung reagiert darauf mit Todeswünschen für ihn.
Von 1895-1899 lebt Dreyfus in Verbannung auf der Teufelsinsel vor Französisch-Guayana – einer Insel, auf die die schlimmsten Verbrecher geschickt werden, um dort einsam zu sterben. Dreyfus wird dort verschiedenen Folterungsmethoden ausgesetzt, die es vor allem auf seine Psyche abzielen. Als 1898 eine Wiederaufnahme seines Prozesses „erzwungen“ wird, werden die Folterungen verstärkt ohne, dass er einen Grund dafür kennt.
Prozesswiederaufnahme
1898 wird der Prozess um Alfred Dreyfus durch den Obersten Gerichtshof neu aufgenommen. Dazu kommt es, da nach der Verbannung Dreyfuß‘ die Spionagefälle nicht enden. Der Täter ist dem Generalstab bekannt: Major Ferdinand Walsin-Esterházy. Seine Verurteilung würde aber bedeuten, dass sowohl Militär als auch Kriegsgericht ein Fehlurteil an Dreyfus eingestehen müssten, woraufhin sie alle neuen Spionagefälle vertuschen. Geheimdienst-Oberstleutnant Marie-Georges Picquart weiß um die weiteren Spionagefälle und erkennt auch Esterházy als Spion. Als er mit diesem Wissen vor den Militärsrat tritt, reagiert dieser geschockt: Er versetzt Picquart nach Tunesien und verbietet ihm über Esterházy und seinen Verdacht zu sprechen. Picquart bekommt somit die Bestätigung der Schuld Esterházys und übergibt seinem Anwalt vor seiner Abreise einen Brief, welcher den Fall um Dreyfus und Esterházy erläutert und im Falle seines Todes veröffentlicht werden soll.
Parallel dazu kämpft auch die Familie von Dreyfus um die Anerkennung seiner Unschuld und findet dabei Unterstützung – auch in der Politik, z. B. bei Senator Auguste Scheurer-Kestner. Am 18.01.1898 veröffentlicht Emile Zola einen Anklagebrief an den Staatspräsidenten Felix Faure, in dem er auch die Schuld Esterházys aufdeckt. Mit dieser Veröffentlichung vertieft sich eine Spaltung der Bevölkerung in Dreyfusler und Anti-Dreyfusler. Zola wird für seinen berühmt gewordenen Brief „J´accuse . . .!“ mit einer Haftstrafe bedroht und flieht für ein Jahr ins Exil nach London.
Esterházy wird zwar vor Gericht gestellt, aber freigesprochen. Am 31.08.1898 begeht der Hauptbelastungszeuge Dreyfus‘, Hubert Henry, Selbstmord und gesteht, die Dokumente, die zur Verurteilung Dreyfus‘ führten, gefälscht zu haben. Als das Militärgericht danach den Prozess nicht wieder aufnimmt, kommt es zum oben erwähnten Eingreifen des Obersten Gerichtshofes. Dieses verkürzt die Strafe Dreyfus‘, allerdings nur auf eine Zeit von zehn Jahren. Am 19.09.1899 kommt es jedoch zur Begnadigung durch den Staatspräsidenten Emile Loebet, da Dreyfus bzw. seine Familie Einspruch gegen das neue Urteil einreichen. Bedingung für diese Begnadigung ist aber die vollständige Rücknahme des Einspruches. 1902 beginnt dann ein Revisionsverfahren, welches mit einer vollständigen Rehabilitation, einer Beförderung zum Major und der Auszeichnung zum Ritter der Ehrenlegion 1906 ein Ende findet.
Die Rolle der Presse
Während des Prozesses wurde deutlich, dass sich immer wieder auf Presse und Öffentlichkeit bezogen wurde. Heute erscheint das normal, doch in der damaligen Zeit war dies erstaunlich.
Eine besonders große Rolle spielte dabei die „La Libre Parole“, eine neu aufkommende, antisemitische Zeitung. Sie hetzte die Bevölkerung immer stärker gegen Juden und vor allem Alfred Dreyfus auf, indem sie die typischen Stereotype propagierte. Dabei half ihr der vorangegangene Panama-Skandal, welcher den Hass auf die Juden erweckt hatte und nun nur noch aufgegriffen und kanalisiert werden musste – der aufkeimende Verdacht um Alfred Dreyfus kam wie gerufen. Der „La Libre Parole“, aber auch weiteren Zeitungen, gelang es, die Bevölkerung so stark zu beeinflussen, dass es letztendlich auch die Regierung unter Druck setzte, da diese – wenn sie Dreyfus nicht verurteilen würde – die Unterstützung der Bevölkerung verlieren würde. Besonders sichtbar wird der Erfolg der antisemitischen Hetze am Tag der Degradierung von Dreyfus als dieser sich mit „Zum Tode, zum Tode“-Rufen ausgesetzt sieht und die Wachmänner zu kämpfen haben, die Massen von ihm fernzuhalten.
Da die Hetzer gegen Dreyfus mit der Öffentlichkeitsarbeit einen so starken „Erfolg“ aufzeigen konnten, wandten sich später auf die Dreyfusler an die breite Öffentlichkeit, um dort Unterstützer zu finden. Bernard Lazare ist einer dieser öffentlich für Dreyfus Kämpfenden. Die größte Wirkung hat dann jedoch der schon beschriebene Brief „J´accuse . . .“ von Emile Zola. Er überzeugt jene, die vorher unschlüssig waren von der Unschuld Dreyfus‘. Im Endeffekt ist es Zolas Brief gewesen, der die Prozesswiederaufnahme anregt.
Heutige Bedeutung der Affäre
Die Dreyfus-Affäre stellt einen tiefen Einschnitt in das öffentliche Bewusstsein der französischen Nation dar. Mehrfach wurden Unschuldige bestraft, während Schuldige freigesprochen wurden, die Bevölkerung ließ sich manipulieren und mitreißen von Hetztiraden der Presse und das Militär war nur auf den Erhalt seines Ansehens in der Öffentlichkeit bedacht. Gegen die Menschenrechte wurde häufig verstoßen. Wie man damit umgehen soll, ist noch heute ein Konfliktpunkt: Einige möchten es einfach nur vergessen, während andere um höhere Aufmerksamkeit auf diese Affäre kämpfen. Eines ist jedoch klar. Die Affäre zeigte, welche Wirkung die Medien auf die Gesellschaft, aber auch auf die Politik und das Militär haben.
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gestaltet von Franziska B. im Schuljahr 2019/2020