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Der Kibbuz

Der erste Kibbuz wurde 1909 gegründet. Diese israelische Siedlungsform entstand aus der Verbindung des jüdischen Geschichtsbewusstsein und der sozialistischen Zukunftsvision von Gleichheit. Es war eine Reaktion der Juden auf den jahrhundertlangen Ausschluss von jeder landwirtschaftlichen und gewerblichen Betätigung. Der Kibbuz ist eine ländliche Kommune, in der die Produktionsmittel der Gemeinschaft gehören und auch die Bedürfnisse der Mitglieder von der Gemeinschaft gedeckt werden. Seither entstanden ca. 270 Kibbuzim mit knapp 130.000 Einwohnern. All diese Kibbuzim trugen zu der Besiedlung des Landes bei. Außerdem waren sie die Wegbereiter bei der politischen Entwicklung des jüdischen Gemeinwesen und des späteren Staates. Auch heute noch spielen sie in der israelischen Gesellschaft eine wichtige Rolle.

Zu Beginn der Entstehung betrieben die Kibbuzmitglieder vorwiegend Landwirtschaft, im Laufe der Zeit setzte sich jedoch immer mehr die Industrie durch. Somit wird in den Kibbuzim inzwischen ein Großteil der Produktion in Industrie- und Dienstleistungs- betrieben erwirtschaftet. Israel ist weder ein Land der Landwirtschaft noch ein Land der Kibbuzim. Der Durchschnittsisraeli ist längst zum Städter geworden. Ist er jedoch kein Städter, lebt er zum Beispiel auch in einem Moschaw, einer Genossenschaftssiedlung, in der jede Familie weitgehend für sich selbst wirtschaftet oder aber auch in kleinen Dörfern. Um eine Kennzeichnung des Kibbuz herzustellen, wurden bestimmte Ziele aufgestellt, von denen ich einige nennen möchte: Es soll eine Siedlung, die sich auf Landwirtschaft, Industrie, Handwerk und alle anderen Arbeiten stützt, errichtet und unterhalten werden. Diese Siedlung soll zum ständigen Wohnort der Kibbuzniks und deren Angehörigen werden. Für die ökonomischen, sozialen, kulturellen sowie individuellen Bedürfnisse der Mitglieder soll gesorgt und Gesundheitsvorsorge soll betrieben werden. Außerdem sollen die Fähigkeiten im ökonomischen, kulturellen, wissenschaftlichen und künstlerischen Bereich gefördert werden.

Eine besondere Förderung gilt den weiblichen Kibbuzmitgliedern, damit eine tatsächliche Gleichheit auf dem ökonomischen und sozialen Gebiet sowie auf dem Gebiet der Bildung und bei öffentlichen Tätigkeiten erreicht wird. Der Kibbuz will die Kinder erziehen, das Niveau ihrer Erziehung und ihren Wissenstand entwickeln und erweitern. Sie sind gegenüber Neueinwanderern sehr aufgeschlossen, sie möchten sie integrieren. Weiterhin sieht sich der Kibbuz dazu berufen Aufgaben zu erfüllen, die die Wirtschaft und die Sicherheit des Staates Israel stärken.

Ari Rath: Wie muss man sich das Leben in einem Kibbuz vorstellen?, 2013

Um diese Ziele zu verwirklichen lebt man nach folgenden Prinzipien:


1. Prinzip der "Gemeinschaftlichen Produktion, Konsumtion und Erziehung".
Das heißt, das gesamte Kibbuz-Eigentum gehört der Gemeinschaft als Kollektiveigentum.

2. Prinzip der "Selbstarbeit" der Mitglieder.
Der Kibbuz stellt mit seinen Mitgliedern einen geschlossenen Arbeitsmarkt dar.

3. Die Arbeitskräfte im Kibbuz stehen der Gemeinschaft zur Verfügung.
Diese Gemeinschaft bestimmt durch ihre gewählten Organe die Zeiteinteilung zwischen Arbeit, Ausbildung, Studium und Freizeit und außerdem über die Verteilung auf die verschiedenen Beschäftigungen in den Produktions- und Dienstleistungsbetrieben (es werden individuelle Neigungen und Wünsche berücksichtigt). Alle Haushalts- und Erziehungsfunktionen werden von kollektiven Institutionen erfüllt (Dienstleistungsbereich), dadurch sind die Frauen des Kibbuz von den Pflichten des privaten Haushalts und von Pflege und Erziehung der Kinder befreit ( volle Arbeitstätigkeit der Frau).

4. Prinzip: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen".
Das bedeutet, man hebt den Zusammenhang zwischen individueller Arbeitsleistung, persönlichem Beitrag zur Produktion und realer Einkommenssituation des Einzelnen auf (-> Gleichheit).

5. Der Kibbuz ist ein selbstverwaltetes Kollektiv, welches nach demokratischen Ordnungsprinzipien verfasst ist.
Diese Selbstverwaltung erfolgt durch zeitweilige Amtsträger ohne materielle Vergünstigungen, die nach ein bis zwei Jahren ausgetauscht werden. Wie schon erwähnt, vollzog sich ein Wandel von der Landwirtschaft zur Industrie, aber auch die Rolle der Familie änderte sich zusehends. Früher lag die Erziehung der Kinder vorwiegend in den Händen einer ausgebildeten Erzieherin. Der Kontakt zwischen Eltern und Kindern beschränkte sich ausschließlich auf die Stillzeiten. Doch mit der Staatsgründung stellte man die Familiengemeinschaft in den Vordergrund und somit konzentrierte man sich auch mehr auf die Kindeserziehung. Man beanspruchte mehr Zeit für die Familie und man forderte, daß die Kinder zu Hause übernachten und nicht im Kinderhaus. Viele Kibbuzim stimmten diesen Veränderungen zu. Aber auf jeden Fall wachsen die Kinder miteinander auf und verbringen die meiste Zeit mit Altersgenossen. Von klein auf werden die Kinder im Kibbuz an gemeinsame Arbeit gewöhnt und ihnen wird vermittelt, dass jeder entsprechend seinen Fähigkeiten seinen Beitrag zu leisten und Verantwortung zu übernehmen hat. Für die Bildung ist die Grundschule innerhalb des Kibbuz und die Oberschule, die von mehreren Kibbuzim gemeinsam regional betrieben wird, zuständig.

Doch bald kam es zu einer größeren Differenzierung des Erziehungsmodells, aber auch die Einstellung zur Arbeit hat sich geändert. Die Gründe dafür sind zunehmende Einflüsse von außen. Die Einführung des Fernsehens in Israel, der Kontakt mit Jugendbewegungen aus den Städten, der Zustrom von ausländischen Freiwilligen für einen Sommer oder ein Jahr oder auch die weiterführenden Schulen auf regionaler Ebene brachten die Jugendlichen auf andere Gedanken und vor allem lernten sie andere Lebensgewohnheiten kennen. Dadurch wandelte sich das Zugehörigkeitsgefühl zum Kibbuz der jüngeren Generation sehr. Einige Jugendlichen äußerten sogar den Wunsch ein Jahr lang eine andere Lebensweise kennenzulernen bevor sie die Kibbuzmitgliedschaft beantragen.

(Quelle: Informationen zur politischen Bildung Nr. 247)

Interview

Um das Leben in einem Kibbuz noch deutlicher zu veranschaulichen habe ich Anett, einer Besucherin eines Kibbuz für ein Jahr, einige Fragen gestellt:

Wie kam für dich die Mentalität der Menschen zum Ausdruck?

Die Mentalität ist in jedem Kibbuz unterschiedlich, denn die Kibbuzim wurden meist von Einwanderern, die aus allen Teilen der Welt kamen, Deutschland, Polen, USA, England, Afrika, Iran, Irak oder Libanon, gegründet.

Für wen sind die Kibbuzim zugänglich?
Zum Arbeiten, jeder der über 18 Jahre alt ist und es ist egal woher man kommt. Mitglied kann man jedoch erst nach einer bestimmten Zeit werden.

Wie würdest du das Miteinanderleben in einer Gesellschaft beschreiben?
Auf jeden Fall kommt es hierbei auf die Größe des Kibbuz an. In kleineren Kibbuzim (50-200 Mitglieder) kennt sich eigentlich jeder. Es wird gemeinsam in großen Speiseräumen gegessen und auch der Sabbat wird gemeinsam gefeiert. Meist weiß jeder alles über den anderen. Mehrere Familien unternehmen gemeinsam Dinge, wie zum Beispiel Grillen oder sie treffen sich einmal pro Woche abends in der Bibliothek. In größeren Kibbuzim ist das Verhältnis nicht ganz so intim, aber es wird trotzdem gemeinsam gegessen und Sabbat gefeiert.

Welche Beschäftigung hattest du im Kibbuz?

Ich musste Melonen verpacken, Datteln ernten, Gästezimmer im Hotel reinigen, in der Küche und im Zoo arbeiten.

Wie kam deiner Meinung nach die Religion zum Ausdruck?
Der Sabbat wird jeden Freitagabend mit dem Gottesdienst begonnen und dann gehen alle zum Sabbatmahl. Zunächst wird gesungen und dann sehr gemütlich gegessen. Die meisten Familien verbringen den Sabbatabend mit Freunden oder gehen in die Bibliothek. Religiöse Feste werden auch sehr groß gefeiert. Es wird schon viel Wert auf Religion gelegt, in dem einem Kibbuz mehr in dem anderen weniger.

Wie würdest du den Tagesablauf der Menschen beschreiben?
Der Tagesablauf ist auch nicht anders als bei uns. Sie bringen ihre Kinder in den Kindergarten oder zur Schule, gehen arbeiten und abends sitzen sie auch vor dem Fernseher oder lesen Bücher. Die Häuser sind nicht sehr groß, eher klein. Dies ist davon abhängig, wie reich das Kibbuz ist.

Wie verbringen sie ihre Freizeit und wie werden die Feste gefeiert?
Es wird alles ausgiebig gefeiert, was es so zu feiern gibt. Religiöse Feste sind meist sehr schön, weil es so viele Traditionen gibt. Was ich so beobachten konnte, haben die Kibbuzniks mehr Freizeit als andere oder sie nutzen sie nur besser.
Der Tag wird so gut genutzt wie möglich.

verfasst von Ulrike G.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 1999/2000