"Endlösung"

Die Wannseekonferenz

Am 20. Januar 1942 versammelten sich unter Leitung von Reinhard Heydrich (Chef des Reichssicherheitshauptamtes) 15 führende Mitglieder der NSDAP sowie Vertreter der deutschen Sicherheitspolizei (SS) und der Reichsministerien in einer Villa am Berliner Wannsee. Gemeinsam berieten sie dort über die Organisation und Durchführung der „Endlösung der Judenfrage“.

Welche Maßnahmen in diesem Zusammenhang ergriffen werden sollten, zeigt folgender Ausschnitt aus dem Protokoll der Wannseekonferenz:
„An Stelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit [...] die Evakuierung [Verhaftung und Deportation] der Juden nach dem Osten getreten [...] Im Zuge dieser Endlösung der Judenfrage kommen rund 11 Mio. [europäische] Juden in Betracht [...] Unter entsprechender Leitung sollen nun im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird.“
Den „endlich verbleibende[n] Restbestand“, so heißt es weiter, wolle man „entsprechend behandel[n]“. Zu diesem Zweck sollten große Vernichtungslager im Osten Europas entstehen.

Villa in Berlin-Wannsee, Deutschland - bekannt als Haus der Wannseekonferenz

Foto: A.Savin (Wikimedia Commons · WikiPhotoSpace) / CC BY-SA

Die Deportation der Juden aus Deutschland

Im Oktober 1941 wurde den Juden die Auswanderung aus dem deutschen Einflussbereich verboten. Kurz darauf setzten erste Massendeportationen in osteuropäische Lager ein. Vielerorts wurden die Juden von Beamten der SS aus ihren Wohnungen abgeholt. Bargeld und Wertgegenstände wie Schmuck und goldene Uhren mussten zusammen mit einer schriftlichen Vermögenserklärung abgegeben werden. Überdies durften die Juden nur eine begrenzte Menge an Gepäck mit sich führen, wie folgendes Beispiel zeigt:

„Die für die Evakuierung vorgesehenen Juden sind angewiesen, 25 kg Gepäck mitzunehmen. Außerdem darf für 2 Tage Verpflegung mitgenommen werden [...] Ist das Gepäck schwerer als 25 kg, ist es entsprechend zu verringern. Es ist den Juden auch zu gestatten, dass sie sich bis zu zwei Schlafdecken, die aber in dem Gewicht von 25 kg enthalten sein müssen, mitnehmen dürfen [...]“ .
[Quelle: Bruchfeld, Stéphane und Levine, Paul A.: Erzählt es euren Kindern (Der Holocaust in Europa). München (C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag) 2000, S. 62]

Die Deportation erfolgte per Eisenbahn. In Güter- oder Viehwaggons, auf engstem Raum zusammengepfercht, waren die Juden zum Teil über Tage hinweg unerträglicher Kälte bzw. Hitze ausgesetzt. Außerdem wurden sie häufig nur unzureichend mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser versorgt. Hinzu kamen die Demütigungen der SS-Männer, die die Züge begleiteten. Aufgrund der mangelhaften hygienischen Bedingungen starben zahlreiche Juden bereits auf dem Weg in die Vernichtungslager.

Die Vernichtungslager

1941 begann man im Rahmen der „Endlösung“ mit dem Ausbau der Konzentrationslager. Zusätzlich wurden in Polen mehrere Vernichtungslager mit enormer Kapazität errichtet. Diese unterstanden, wie die Konzentrationslager, der SS, dienten allerdings ausschließlich zur Tötung.
Die polnischen Lager Belzec, Sobibor und Treblinka wurden Anfang 1942 zum Schauplatz der „Aktion Reinhard“ (benannt nach Reinhard Heydrich), der ein Großteil der polnischen Juden sowie niederländische, französische, österreichische und slowakische Juden zum Opfer fielen.
Im Oktober 1942 legte Heinrich Himmler (Reichsführer SS) fest, dass alle europäischen Juden in die Vernichtungslager Majdanek und Auschwitz deportiert werden sollten.
Am Beispiel von Auschwitz wird nachfolgend die Situation in einem Vernichtungslager dargestellt.

Karte der Vernichtungslager - Stéphane Bruchfeld, Paul A. Levine: Erzählt es euren Kindern. Der Holocaust in Europa. München 2000

Das Konzentrations- und Vernichtungslager

8. Juni 1943, sechs Uhr früh. Der Zug hielt. Durch das einzige Gitter in unserem Waggon lasen wir den Stationsnamen weiß auf rotem Grund gemalt: Auschwitz. Als wir ihn lasen, wurden wir blaß [...] Laut wurden die Türen geöffnet, und Häftlinge in gestreiften Uniformen sprangen in die Waggons. Sie sagten, wir sollten aussteigen. Zum ersten Mal hörten wir hier das Wort, das wie kein anderes klang: „Schnell!“. Dieses verhaßte Wort überschattete jede Bewegung von uns [...]Kaum war das Gepäck ausgeladen, so wurde uns befohlen, alles liegenzulassen und uns in Reih und Glied aufzustellen. Die Stimmung war grauenhaft. Es regnete, und wir versanken bis zu den Knöcheln im Kot. Die SS umstellte uns mit aufgepflanzten Bajonetten. Maschinengewehre wurden auf uns gerichtet [...] In wenigen Minuten waren alle Ankömmlinge - 880 an der Zahl - in einer Kolonne aufgestellt. Wir mußten an zwei Offizieren vorbeimarschieren, mit Peitschen und den Rufen „Schnell!“ angetrieben. Der eine der Offiziere holte ohne ein Wort zu sagen mit einer Bewegung des Fingers einen nach dem anderen aus der Reihe und wies ihn nach rechts oder links, nach vorn oder hinten. So teilte er uns in vier Gruppen: in der ersten waren es junge, kräftige Männer; in der zweiten ältere Männer; in der dritten junge, gesunde Mädchen; in der vierten schwächere Frauen über 25 Jahre, Kinder, junge Mütter mit Kindern und Frauen, die offensichtlich schwanger waren. Die zweite und die vierte Gruppe wurden auf Lastwagen verladen, die anderen mußten marschieren [...]
[ Quelle: Adler, Hans G. (Hg.): Auschwitz: Zeugnisse und Berichte. Hamburg (Europäische Verlagsanstalt) 1994, S. 59f. ]

Die etwa 60 Kilometer westlich von Krakau gelegene polnische Stadt Auschwitz erlangte während des Zweiten Weltkriegs traurige Berühmtheit als Standort des größten Vernichtungskomplexes der Nationalsozialisten. Im April 1940 gab Heinrich Himmler den Befehl zur Errichtung eines Konzentrationslagers. In den darauffolgenden Monaten entstand das Stammlager (Auschwitz I), in dem zunächst hauptsächlich polnische Juden interniert wurden. Unter Leitung des Lagerkommandanten Rudolf Höß erfolgte im September 1941 im Keller des Blocks 11 des Stammlagers ein erster Versuch zur Ermordung von Menschen mit Zyklon B. Dieses hochgiftige Gas wurde in Form von Kristallen in luftdichten Behältern angeliefert. In Gegenwart von Luft entfalteten die Kristalle ihre tödliche Wirkung. Da der Versuch zur Zufriedenheit der Verantwortlichen ausfiel, wurde wenig später die erste Gaskammer im Stammlager eingerichtet. Zur gleichen Zeit war man bereits mit dem von Himmler befohlenen Ausbau von Auschwitz beschäftigt. Im Rahmen der „Endlösung“ entstanden Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II) und das Zwangsarbeitslager Auschwitz-Monowitz (Auschwitz III) sowie 39 Außen- und Nebenlager.

Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Polen 1945, Eingang nach der Befreiung, im Vordergrund von den Wachmannschaften zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände

Foto: Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE

Drei Kilometer nordwestlich vom Stammlager entfernt lag das eigentliche Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das mit einem Gleisanschluss und einer Selektionsrampe ausgestattet war. Insgesamt umfasste es fünf Krematorien und vier Gaskammern, von denen sich zwei in umgebauten Bauernhäusern befanden ( „Bunker I“ und „Bunker II“ ). Ab 1942 wurden täglich mehrere tausend Menschen mit Zyklon B vergast. Doch nicht jeder, der in Auschwitz ankam, wurde sofort ermordet.

Selektion ungarischer Juden auf der Rampe in Auschwitz-Birkenau, Mai / Juni 1944. Juden wurden entweder zur Arbeit oder in die Gaskammer geschickt. Das Foto ist Teil der Sammlung, die als Auschwitz-Album bekannt ist. Die gesamte Sammlung wurde erstmals 1980 in den USA, Kanada und anderswo von Serge Klarsfeld als "The Auschwitz Album" veröffentlicht. Mehrere Quellen glauben, der Fotograf sei Ernst Hoffmann oder Bernhard Walter von der SS gewesen. / Public Domain

Nachdem die Menschen die überfüllten Güterzüge verlassen hatten, trennte man zunächst Frauen und Kinder von den Männern. Dann folgte die Selektion: Die diensthabenden SS-Ärzte unterteilten die Neuankömmlinge entsprechend ihrer körperlichen Verfassung in „arbeitsfähig“ und „nicht arbeitsfähig“. Zumeist wurden junge, gesunde, kräftige Menschen ausgewählt, um in Auschwitz-Monowitz oder einem der Nebenlager Zwangsarbeit zu leisten. Kindern, Schwangeren, Alten, Kranken und Schwachen hingegen drohte häufig der sofortige Tod.

Nachdem sich die Opfer entkleidet hatten, wurden sie zur „Desinfektion“ in die als Duschräume getarnten Gaskammern gebracht. Das Zyklon B entfaltete dort rasch seine tödliche Wirkung. Nach etwa 20 bis 30 Minuten wurden die Leichen in die Krematorien befördert. Häftlinge, die dem „Sonderkommando“ angehörten, mussten ihnen die Haare zur Verarbeitung in der Kriegsindustrie abschneiden und die Goldzähne ziehen. Anschließend wurden die Ermordeten in speziellen Öfen verbrannt.
Doch Auschwitz-Birkenau war nicht nur die größte nationalsozialistische Vernichtungsstätte. Es war auch ein Ort, an dem skrupellose Ärzte medizinische Experimente an Menschen durchführten - allen voran Dr. Josef Mengele. Er wählte unter den Häftlingen vor allem Zwillingspaare im Kindesalter aus, um diese im Rahmen seiner Zwillingsforschung ausführlich zu untersuchen. Neben zahlreichen Studien anderer SS-Ärzte mussten die Häftlinge auch Testreihen verschiedener Pharmakonzerne über sich ergehen lassen. Man erprobte an den schon abgemagerten und geschwächten Menschen die Wirkung und Verträglichkeit neuer Medikamente.
Mit dem Vorrücken der sowjetischen Roten Armee begannen ab 1943 seitens der SS die Bemühungen, die Spuren der Massenvernichtung zu verwischen. Nachdem im Sommer 1944 nochmals 24000 Juden vergast worden waren, sprengte man im November desselben Jahres auch die Vernichtungsanlagen von Auschwitz-Birkenau. Anschließend mussten alle gesunden gehfähigen Häftlinge die sogenannten „Todesmärsche“ in andere Konzentrationslager antreten. Am 27. Januar 1945 befreite schließlich die Rote Armee die ca. 7600 in Auschwitz verbliebenen Häftlinge.
Jene, die überlebt hatten, waren glücklich.
Die Folgen der Haft spürten sie oft ein Leben lang (KZ-Syndrom).

verfasst von Claudia G.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2000/2001