Sie sind hier: Startseite » Geschichte » Mittelalter » Ghetto

Ghetto

Das Judenviertel

Hinweis auf die Judengasse in Speyer

Ein Judenviertel beschreibt allgemein die städtischen Wohn-, Kult- und Geschäftshäuser der Juden nahe dem Markt, der Burg oder der Domfreiheit gelegen. Vor dem 13. Jahrhundert war ein Judenviertel nicht von anderen Wohn- und Gewerbegebieten abgegrenzt. Wie auch bei christlichen Gruppen mit gemeinsamer Profession, bildeten sie Quartiere. Diese waren häufig von Mauern umgeben, wenn Diebstahlgefahr für wertvolle Gegenstände bestand. Beispiele solcher Judenviertel fanden sich in Aachen, Augsburg, Trier, aber auch in Worms, Braunschweig und Hildesheim. Ein ummauertes Judenviertel fand sich 1084 in Speyer. Was aber änderte sich im 13. Jahrhundert? In dieser Zeit schrieb ein Laterankonzil von 1215 vor, dass jüdische und christliche Wohnbereiche voneinander getrennt sein sollten. Diese Regelung gilt vorerst nur für Ausnahmen, doch ab dem 15.Jahrhundert galt es allgemein. Die ersten abgesonderten Judenviertel entstanden, und zwar in Randbezirken der folgenden Städte: Frankfurt am Main, Mannheim, Berlin, Hannover und Halberstadt. Tatsächlich gab es auch Städte, die die Viertel nicht innerhalb der Stadt akzeptierten. Dazu zählten Magdeburg, Meißen und Halle. In dieser Zeit kamen die Begriffe „Judengasse“ und „Judenstadt“, aber auch „Ghetto“ für die Bezeichnung Judenviertel auf.

Foto: PMATAS / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE

Aufbau des Wohnviertels

C. F. Mylius, Judengasse in Frankfurt a.M. 1880, Public domain

Anders, als ein Begriff wie „Judengasse“ vermuten lasst, ist der Aufbau eines solchen Wohngebietes relativ vielschichtig. Es bestand nicht nur aus den Wohn- und Geschäftshäusern, sondern beinhaltete Herbergen für Durchreisende, ein Hospital und einen Saalbau einer Synagoge, aber auch das Judenbad, ein Hochzeits- oder Brauthaus und ein Back- und Schlachthaus. In kleineren Städten wurde der Saalbau der Synagoge als „Schul‘“ genutzt, in größeren gab es ein eigenes Lehrhaus. Als Abgrenzung dienten neben Mauern auch große Tore.

Die Aufgaben der Gemeindemitglieder

Innerhalb der jüdischen Gemeinde war der Judenmeister (Magister Judeorum) der offizielle Repräsentant gegenüber den Behörden. Das waren oft die Rabbiner, welche von den Parnassim, den Gemeindevorstehern, unterstützt wurden. Neben seinen religiösen Pflichten als Glaubensgelehrter und Seelsorger, war dem Rabbiner das Richteramt zuteil. Er war die oberste Autorität bei Auseinandersetzungen jeglicher Art vor dem internen Friedensgericht. Zudem achtete er auf die Einhaltung der Kleiderordnung innerhalb des Ghettos.

Die Parnassim teilten sich mit dem jüdischen Gelehrten die Verantwortung für das Hospital, die Herbergen und die Unterstützung der Armen. Diese pflegten Obdachlose, Flüchtlinge und umsorgten Talmudstudenten.

Frankfurt am Main: Ausschnitt aus Matthäus Merians Vogelschauplan von 1628 mit der Judengasse und dem Dominikanerkloster

Das gesellschaftliche Leben

Das alltägliche Leben der Juden im Ghetto drehte sich hauptsächlich um die Familie und die Schul‘, aber auch um Pflichten wie die der Arbeit. Der Höhepunkt war der Sabbat sowie sein Vorabend, aber auch die Freitagabende. An diesen versammelten sich Familien und Bedürftige um den festlichen Tisch. Die Gemeinde nahm an dem Leben der einzelnen Juden teil. Feierlichkeiten, wie Hochzeiten, wurden gemeinsam im Brauthaus zelebriert. Tatsächlich kamen auch Christen zu Besuch in das Ghetto. Das war jedoch nicht gern vom Stadtrat gesehen. Hielten sich Mitglieder nicht an die Regeln, wurden sie vor das rabbinische Gericht zitiert, um dort ihre Vergehen zu begleichen. Bei schwerwiegenden Missetaten wurden sie von der Gemeinde ausgeschlossen. Der Handel abseits der Gasse war stark eingeschränkt. Die Juden hatten kein Recht auf Landbesitz außerhalb des Ghettos. Ab 22 Uhr war es ihnen nicht mehr gestattet, die für sie vorgesehene „Judengasse“ zu verlassen. An Sonn- und christlichen Feiertagen waren sie ebenso nicht gern im judenfreien Stadtteil gesehen. Ihr Erkennungsmerkmal war ein gelber Fleck auf ihrer Kleidung. So konnten sie von der christlichen Bevölkerung unterschieden werden.

Ghetto Frankfurt am Main

Fettmilch-Aufstand: Hinrichtung von Vincent Fettmilch, Konrad Gerngroß, Konrad Schopp und Georg Ebel am 28. Februar 1616 auf dem Frankfurter Roßmarkt

Ein bekanntes Beispiel ist das Ghetto in Frankfurt am Main. Damals hatte Kaiser Friedrich der III die Entfernung aller Juden aus ihren Häusern in der Frankfurter Domgegend angeordnet. Seine Forderung wurde mit den Beschlüssen des Laterankonzils von 1215 und des Konzils von Basel (1431-1449) gerechtfertigt. 1462 führte die Stadt, trotz des Widerstands der bereits angesehenen Juden, den kaiserlichen Befehl aus. Am städtischen Abwasserkanal gegenüber der Stadtmauer wurden zwei zusätzliche Mauern errichtet. Dazwischen entstand eine circa 300 Meter lange Gasse. Sie war begrenzt von drei Toren, die nur tagsüber geöffnet wurden. Grundsätzlich bestand die „Judengasse“ aus zwei gegenüberliegenden Häuserreihen. Darin lebten Geldhändler, Trödler und Viehhändler, aber auch Bankiers, Gelehrte, Lehrer, sowie Bäcker, Kunstsammler, Metzger und Schuster. Ebenso wohnten Kinder und Kranke in dem Ghetto. Obwohl die Juden separiert wurden, konnte sich ein wohlgeordnetes, vielfältiges und intensives Gemeindeleben entwickeln. Es wuchs eine kleine, wohlhabende Gemeinde heran. Anfangs lebten im Jahre 1463 110 registrierte Personen im Frankfurter Ghetto. Schlussendlich stiegen die Zahlen bis 1610 auf 2270 an. Im 16. Jahrhundert erlangte sie durch Gelehrte Bekanntheit. Das Frankfurter Ghetto war eines der ersten und eines der letzten seiner Art in Deutschland, jedenfalls vor Beginn des 19. und 20. Jahrhunderts. Es wurde erst 1796 aufgelöst und beherbergte die größte jüdische Gemeinschaft Deutschlands.

Fettmilch-Aufstand 1614

gestaltet von Feli H.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2020/2021