Strömungen des Judentums
Schon in den Jahrhunderten vor der Zerstörung des Zweiten Tempels, der durch Herodes wieder aufgebaut wurde, war das Judentum durch verschiedene Strömungen gekennzeichnet. Durch die Entdeckung von Schriftrollen in der Nähe des Toten Meeres wurde das Bewusstsein für die Vielfalt des Judentums in der Antike erneut geweckt, nachdem sie durch geringfügige Erwähnung in Originalquellen in Vergessenheit geraten war. Neben den Sadduzäern, den Pharisäern, der Qumran-Gemeinschaft und den Zeloten gehört auch das frühe Christentum zu den vielen Richtungen innerhalb des Judentums dieser Zeit.
Sadduzäer
Die Sadduzäer (wahrscheinlich nach dem Hohenpriester Salomos, Zadok, benannt) waren aus einer alten Priesteraristokratie hervorgegangen und bildeten in der Zeit von ca. 150 v. Chr. bis 70 n. Chr. eine jüdische Partei des Priesteradels. Im Gegensatz zu den Pharisäern, deren "traditionelle" Gegner sie waren, leugneten die Sadduzäer ein Fortleben der Seele und der Existenz von Engeln und Geistern. Ebenfalls glaubten sie nicht an göttliche Eingriffe in die menschlichen Angelegenheiten. Zudem verwarfen die Gegner der Pharisäer die mündliche Tora und gaben der Vorsehung Gottes den Vorrang vor der menschlichen Willensfreiheit. Sie erkannten nur die Bücher Mose 1.-5. als Offenbarung an, lehnten aber die Auferstehungshoffnungen und Engelglauben nach der Apostelgeschichte des Lukas 23,8 ab. Da die Sadduzäer eng an den Bestand des Tempels und des jüdischen Staates gebunden waren und über keinen breiten Rückhalt im Volk verfügten, gingen sie als politisch und religiös wirksame Gruppe mit dem Tempel unter.
Pharisäer
Vor allem in griechischen Quellen (NT, Josephus) bezeichnet der Pharisäer den Vertreter einer jüdischen Religionspartei zwischen etwa 150 v. bis 70 n. Chr., welche sich als Gruppe wahrscheinlich nach dem Makkabäeraufstand entfaltete. Einige von ihnen waren typische Vertreter einer Gesetzesfrömmigkeit, welcher der Buchstabe des Gesetzes wichtiger ist als sein Geist. Um die eigene Religion und Kultur vor dem Synkretismus der hellenistischen Welt zu bewahren, distanzierten sie sich von jedem ausländischen Einfluss. Infolge ihrer perfektionistischen Gesetzesinterpretation (248 Gebote; 365 Verbote) distanzierten sich die Gegner der Sadduzäer auch von der Masse des eigenen Volkes. Sie stellten die Schriftgelehrten und Richter und leiteten den Gottesdienst.
Zu ihren Lehren gehörte der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, an Engel, die Auferstehung der Toten, an eine gerechte Strafe im Jenseits und den freien Willen des Menschen in Verknüpfung mit der göttlichen Vorsehung. Mit den apokalyptisch (endzeitlich) ausgerichteten Gruppen hofften die Pharisäer auf die Vollendung der Geschichte durch Tora-Erfüllung, betonten daher die biblischen Gebote und erweiterten sie um eine "mündliche" Tora (Mischnah). Sie lehnten aber die radikale Naherwartung ab und suchten einen Ausgleich mit der herrschenden Macht zur Sicherung der jüdischen Existenz, wurden daher von Radikalen als "Heuchler" beschimpft. Diese im NT mehrfach vorkommende Charakteristik der Pharisäer ging in den allgemeinen Sprachgebrauch über.
Essener
Nach häufigen Vermutungen sollen die Essener weitgehend identisch sein mit der Gemeinschaft von Qumran. Jedoch ist diese Gleichsetzung neuerdings zweifelhaft, da eine eindeutige Zuordnung der Funde aus den Höhlen bei Qumran zu einer bestimmten Gruppe nicht gelingen will.
Qumran ist eine Ruinenstätte am Süd-Westufer des Toten Meeres. Bis zur Zerstörung im Jahr 68 n. Chr. (zur Zeit des Jonatan Makkabäus) lebten dort die Mitglieder einer streng disziplinierten ordensähnlichen Glaubensgemeinschaft, die Ähnlichkeit mit den Essenern zeigte. Seit 1947 wurden in den Felsenhöhlen bei Qumran hebräische Schriftrollen von unschätzbarem Wert (biblische Texte, parabiblische jüdische Literatur und Sektentexte) gefunden. Sie wurden in irdenen Krügen aufbewahrt und stammen zum Teil aus dem 1. vorchristlichen Jahrhundert. Das umfangreichste Schriftstück ist die 7,34 m lange Jesaja-Rolle.
Die Essener lehnten den Tempeldienst und die Priesterschaft ab und hofften, durch strenge Bußübungen das Reich Gottes herbeiführen zu können. Arme und Invaliden waren ausgeschlossen: "Jeder, der an seinem Fleisch geschlagen, ein an Füßen oder Händen Gelähmter, oder Hinkender, Blinder, Tauber, Stummer oder ein mit einem sichtbaren Makel an seinem Fleische Geschlagenen, oder ein alter hinfälliger Mann ist, darf sich nicht in der Gemeinde halten." Die Gemeinschaft ist eine frühjüdische Gruppe zwischen ca. 150 v. bis 70 n. Chr., die bei Flavius Josephus, Philo von Alexandrien und anderen antiken Autoren als asketische, teilweise vereinsmäßig organisierte Gruppe als Vertreter eines "strengen Lebens".
Die Qumran-Gemeinschaft war straff organisiert, führte ein enthaltsames, priesterlich-rituelles Leben und betrachtete sich als die letzte Generation vor der Ankunft des Messias.
Zeloten
Als Zeloten bezeichnet man die radikalen Widerstandskämpfer gegen die römische Herrschaft seit Beginn des 1. Jahrhunderts. Seit Judäa von den Römern unterworfen war setzten sich die Zeloten für die nationale und religiöse Unabhängigkeit des Volkes ein, wobei sie vor offenen Gewalttaten nicht zurückscheuten. Sie lehnten es ab, den Römern Steuern zu zahlen und stellten im Jüdischen Krieg die meisten Freiheitskämpfer. Viele von ihnen kamen aus Galiläa; es gab damals die Redensart: "Die Galiläer halten mehr auf ihre Ehre als auf ihr Geld. Die Judäer halten mehr auf ihr Geld als auf ihre Ehre." Der kollektive Selbstmord der letzten Zeloten auf Masada bedeutete das Ende ihrer Bewegung.
verfasst von Sabine H.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2001/2002