Sigmund Freud
"Die Biographen aber sollen sich plagen, wir wollen 's ihnen nicht zu leicht machen." Diese Worte schreibt Freud in einem Brief an seine Verlobte (Martha Bernays) nachdem er vier Tage vor seinem 29. Geburtstag alle seine Aufzeichnungen verbrannte. Er beabsichtigte damit eine Wende in seinem Leben zu vollziehen.
Außerdem schrieb er: "Ein Vorhaben habe ich allerdings fast ausgeführt, welches eine Reihe von noch nicht geborenen, aber zum Unglück von geborenen Leuten schwer empfinden wird. Da Du doch nicht erraten wirst, was für Leute ich meine, so verrate ich Dir' s gleich: es sind meine Biographen. Ich habe alle meine Aufzeichnungen seit vierzehn Jahren und Briefe, wissenschaftliche Exzerpte und Manuskripte meiner Arbeit vernichtet. Von Briefen sind nur die Familienbriefe verschont geblieben, Deine, Liebchen, waren nie in Gefahr. Alle alten Freundschaften und Beziehungen haben sich dabei nochmals präsentiert und stumm den Todesstreich empfangen ( meine Phantasie lebt noch in der russischen Geschichte); alle meine Gedanken und Gefühle über die Welt im allgemeinen und soweit sie mich betraf im besonderen, sind für unwert erklärt worden, fortzubestehen. Sie müssen jetzt nochmals gedacht werden, und ich hatte viel zusammengeschrieben. Aber das Zeug legt sich um einen herum wie der Flugsand um die Sphinx, bald wären nunmehr meine Nasenlöcher aus dem vielen Papier herausgeragt; ich kann nicht reifen und nicht sterben ohne die Sorge, wer mir in die alten Papiere kommt." Nichtsdestotrotz gelang es den Biographen einen Abriss über das Leben Freuds zu erstellen und auch persönliche Briefe sowie handschriftliche Arbeiten mit einzubeziehen ( die meisten stammen jedoch aus den Jahren nach seinem 29. Geburtstag).
Die Psychoanalyse
1876 begann Freud, der sein Medizinstudium abgeschlossen hatte, mit der Arbeit im Labor und bewegte sich somit zur Neurologie hin. Wie er später selbst äußerte, ist die Neurologie jedoch nicht die Vorbereitung für die Psychologie.1885 begann Sigmund Freud als Neurologe in der Salpetriere zu arbeiten. Dort trifft er auf Jean-Martin Charcot, von dem Freud in Erzählungen Breuers (->1882 Allgemeines Krankenhaus, Wien) bezüglich des Falls der Anna O. hörte.
Charcot beeindruckte ihn sehr und Freud bot sich ihm als deutscher Übersetzer für seine Werke an. Somit ergab sich die Möglichkeit für Freud, näheres über die Arbeiten Charcot zu erfahren- sehr schnell wuchs in ihm die Bewunderung. Freud erkennt, dass Charcot mit Hilfe der Art seiner Behandlungen durch die Hypnose verdeutlicht, dass die Probleme der Hysterie auf Gesetzmäßigkeiten zurückführbar sind.
Schon bald kommt Freud zu der Erkenntnis, dass ein "vom Bewusstsein getrenntes Denken" existiert (es handelt sich dabei aber noch nicht um die Entdeckung des Unterbewusstseins.
Interessant ist, dass Freud aufgrund seiner Bewunderung für Charcot in sich selbst einen Hysteriker erkannte. In Bezug zur heutigen Psychologie kann gesagt werden, dass das "in den Patienten Hineinversetzen" eine wichtige Rolle bei der Behandlung psychisch kranker Menschen spielt.
1886- Freud besitzt eine Privatpraxis in Wien. Seine therapeutischen Maßnahmen sind anfangs die Elektrotherapie ( die er jedoch zunehmend vernachlässigt) und die Hypnose. Mit wachsendem Interesse beschäftigt er sich mit der in die Hypnose einbezogene ärztliche Suggestion. Erneut tritt er mit Josef Breuer in Kontakt und erlangt erneut einen Einblick in den Fall der Anna O. Nicht durch Suggestion, aber durch eine ähnliche Form der Behandlung hatte Breuer Erfolge bei der Behandlung seiner Patientin. Das Geheimnis lag darin, dass der Patientin während der Hypnose "unbewusste Erinnerungen", welche Auslöser für die Krankheit waren, in ihr Bewusstsein zurückgerufen wurden. Diese Art der Behandlung wurde als die "kathartische Methode" bezeichnet.
Die kathartische Methode steht aufgrund dessen, dass der Patient nicht beeinflusst wird, sondern einen Wiederfindungsprozess durchläuft, am Anfang der Psychoanalyse. Vergleichsweise ist in ihr nur eine sehr einfache Struktur auffindbar.
1923 schreibt Freud: " Die kathartische Methode ist der unmittelbare Vorläufer der Psychoanalyse und trotz aller Erweiterungen der Erfahrung und aller Modifikationen der Theorie immer noch als Kern in ihr enthalten. Aber sie war nichts anderes als ein neuer Weg zur ärztlichen Beeinflussung gewisser nervöser Erkrankungen, und nichts ließ ahnen, dass sie Gegenstand des allgemeinen Interesses und des heftigen Widerspruches werden konnte."
Mit dem Fall der Elisabeth von R. bewahrheitet sich die Annahme, dass es genügt, die vergessenen und "unbewussten" Erinnerungen in das Bewusstsein zurückzurufen- hierbei spricht Freud von der Metapsychologie. Jene wird eine theoretische Grundlage für die Entwicklung vieler neuer Ideen.
Die Sexualität
Freud entwickelte eine Theorie über die kindliche Sexualität. Diese lautete: die Patienten wurden im Kindesalter als ihre Sexualität noch nicht erwacht war durch sexuelle Verführungen traumatisiert, und mit der Pubertät sowie der damit verbundenen Entwicklung der eigenen Sexualität, tritt dieses Trauma als krankheitserregender Bestandteil in ihre Erinnerung zurück. Dabei erinnert er sich an Breuer, Charcot und Chrobak, die diese Entdeckung in ähnlicher Weise machten, sie jedoch nicht als ein wichtiges Kriterium erkannten und es später auch abstritten.
Zu jener Zeit fehlten Freud noch einige Erkenntnisse, um diese Theorie zu untermauern, so beispielsweise der Ödipuskomplex.
Die lange Verbindung zu Wilhelm Fließ war ein wichtiger Bestandteil für den Weg zur Analyse. Mit Fließ führte Freud seine eigene Analyse durch und konnte ein Modell aufstellen. Die Freundschaft zwischen Freud und Fließ entzweite sich zunehmend.
Auch Fließ machte, basierend auf den von Freud erworbenen Grundkenntnissen, einige Entdeckungen. Als jedoch Freud diese Ideen übernahm und Fließ als etwas "Neues" vorstellte, erkannte sie Fließ nicht als seine eigenen wieder. Diese "Unwissenheit" erweckte bei Freud ein großes Erstaunen.
Freud befand sich in einer Phase, in der er sehr aufgewühlt war- doch dieses "Durcheinander", das der Verwirrung während einer Analyse glich, führte ihn zu wichtigen Erkenntnissen. Somit kann gesagt werden, dass Breuer ihn auf den Weg zur Psychoanalyse führte, Fließ jedoch durch seine "Unwissenheit" ein wichtiges Element für Freuds Entdeckungen und Schlussfolgerungen darstellte.
Die Entdeckung der Analyse liegt in Freuds Selbstanalyse ( einige Wochen lang formulierte er es selbst auf diese Art und Weise), die er während der Arbeit durchführte.
Mit der Theorie über die Sexualität war der Ödipuskomplex bereits angedeutet. Schließlich erkennt Freud einen "Phantasie-Charakter". Dadurch gerät er in einen Konflikt mit seiner Theorie zur Hysterie. Letztendlich kommt er zu der Erkenntnis: "Die Phantasien erinnern an etwas, das ein Kind früh gehört, aber erst später verstanden hat." Dadurch blieb die Unschuld des Kindes erhalten.
Den Ödipuskomplex konnte Freud auch in seiner eigenen Kindheit erkennen: "Ich habe die Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht und den Vater auch bei mir gefunden und halte sie jetzt für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit, wenn auch nicht immer so früher wie bei den hysterisch gemachten Kindern."
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Die Traumanalyse
In der Traumanalyse sieht Freud einen wichtigen Bestandteil der Psychoanalyse. Der Traum ist für ihn ein Phänomen, in welchem " krankheitserregende" Fakten eingebaut sind, und diese wiederum helfen zum Verständnis- es ist der Weg zum Unterbewussten.
Freud probierte sich an vielen Traumbeispielen und stellt fest, dass eine vollständige Interpretation nicht möglich ist, da diese zu weitläufig wäre und sich schier ins Unendliche verlaufen würde. Ein wichtiges Kriterium für die Traumanalyse bildet Freuds Aussage: "...dass solche abnorme psychische Bearbeitung eines normalen Gedankenzugs nur dann vorkommt, wenn dieser zur Übertragung eines unbewussten Wunsches geworden ist, der aus dem Infantilen stammt und sich in der Verdrängung befindet."
Die Psychopathologie des Alltagslebens
1901 konzentrierte sich Freud weniger auf die Traumdeutung, sondern wendete sein Interesse der Psychopathologie des Alltagslebens zu. Eine grundlegende Frage weckte Freuds Interesse insbesondere, die in zwei Artikeln von 1898 und 1899 unter "Zum psychischen Mechanismus der Vergesslichkeit" und "Über Deckerinnerungen" formuliert wurde. Ihn beschäftigte, wie es dazu kam, dass bei dem Versuch einer Erinnerung verschobene und verdichtete Bilder erschienen. Freud führt dies ebenfalls auf einen unbewussten Wunsch zurück. Fordert beispielsweise ein Amerikaner in einem Brief an seine Frau auf, mit dem Dampfer "Mauretania" zurückzureisen, so stellt er mit Erschrecken fest "Lusitiana" geschrieben zu haben. Diese Bestürzung zeigt, dass es sich um einen unbewussten Wunsch handelte.
Der Fall des Mädchens Dora bringt Freud eine therapeutische Niederlage. Doch dies ist kein Grund für ihn, seine Theorien aufzugeben, sondern er erkennt darin, dass seine Theorien unvollständig sind. Freud erklärt, er habe die Theorie der hypnoiden Zustände aufgegeben- schließlich handelte es sich bei dieser um die von Breuer und nicht die eigene.
Auch heute werden die Dinge, die überholt erscheinen, verworfen, aber nichtsdestoweniger bleiben die meisten Grundlagen mit Bedacht erhalten.
Die drei Abhandlungen zur Sexualtheorie
Mit dem Fall des Mädchens Dora wendet sich Freud einem weiteren Thema zu- der Sexologie. In therapeutischen Gesprächen stellt er fest, dass die Patientin für ihr Alter und ihre Epoche gut informiert war. Seine Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie riefen mit deren Veröffentlichung ein überaus großes Ärgernis hervor. Gründe dafür waren, dass eine junge achtzehnjährige Dame nun nicht mehr dem Reinheitsbild entsprach und diese Theorien, die das Muster der "Unschuld" der Kinder zerstörte. Freud bezeichnet das Kind, das von seinen sexuellen Trieben geleitet wird, als Ursprung der Perversionen der Erwachsenen.
Mit der Entwicklung dieser Schriften konnte ein neuer Aspekt mit der Psychoanalyse verknüpft werden - in Freuds Abhandlungen spielt der Wunsch keine Rolle mehr; er bewegt sich auf einem neuen Gebiet. Somit kann gesagt werden: die Psychoanalyse ist auf zwei verschiedene Ursprünge zurückführbar- "Die Traumdeutung" und die "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie". Daraus folgt, dass es sich bei der Traumdeutung um das Buch des Wunsches und bei den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie um das Buch der Triebe handelt- zwei Gebiete, die Freud stets getrennt behandelte.
Seit 1902 kommt es zu einer zunehmenden Verbreitung der Lehren Freuds. So interessierte sich beispielsweise der Professor der Psychatrie Zürich, Eugen Bleuler, für Freuds Theorien. Auch Carl Gustav Jung fand großes Interesse an seinen Ideen und konnte durch praktische Ausführungen die experimentelle Psychologie bestätigen. Freud sieht, dass er zunehmend internationale Anerkennung gewinnt (die Hoffnung, dass er auch in Wien Anerkennung gewinnt, hatte er aufgegeben). Dass die Schweiz christlich war, ließ Freud darauf schließen, dass die Widerstände gegen die Psychoanalyse durch eine antijüdische Opposition verstärkt wurden. Dabei rückte er die Anerkennung in den Vordergrund und ließ die Möglichkeit einer Entfremdung seiner Gedanken außen vor.
In Brill, Pfister und Abraham fand Freud wertvolle Anhänger.
Freuds Fälle " der kleine Hans", "der Rattenmann" und " der Wolfsmann" geben ihm Bestätigung in seinen Theorien, zeigen aber auch Widersprüche auf, die ihn zu Neubearbeitungen, Widerlegungen und auch einigen Neuerkenntnissen veranlassen.
Der Fall Schreber führt Freud auf ein neues Gebiet. Daniel Paul Schreber, ehemaliger Senatspräsident des Oberlandesgerichts Dresden, war es durch erfolgreich geführte Gerichtsprozesse möglich geworden, die psychatrische Klinik zu verlassen und das Buch über seine eigene Geisteskrankheit zu veröffentlichen. Freud führt Schrebers paranoischen Wahnvorstellungen auf seine verdrängte Homosexualität zurück.
Auch hier findet Freud Bestätigungen seiner Ideen. Um sich gegen Jung zu verteidigen (schon länger hatten sie sich entzweit und Jung stellte inzwischen selbst Theorien auf) muss Freud die Theorie des Ich radikal umwandeln. So kam er zum Narzissmus, einer neuen "Richtung" in der Psychoanalyse.
Amateuraufnahmen von Sigmund Freud, die zwischen 1930 und 1939 aufgenommen wurden - MovingImageArchive
Der Todestrieb
Freud beschäftigte sich wieder einmal mit einer neuen Frage, die er sich bereits 1905 stellt- "Wie kann die Darstellung des Leidens eine Wurzel des Vergnügens sein?" fortan lautete sie: " Welcher Natur ist der Zwang, der bewirkt, dass unangenehme Situationen wiederholt werden, wie es zum Beispiel in der traumatischen Neurose und beim Kinderspiel geschieht?"
Freud kommt zu der Hypothese, dass ein Todestrieb existent ist, der versucht , die lebenden Wesen in einen Zustand vor dem Leben (den der anorganischen Materie) zurückzuführen.1920 und 1933 greift er dies in seinen Vorlesungen auf.
Freud ist sich bewusst, dass der Todestrieb nicht im biologischen Sinne nachgewiesen ist, aber er gilt als Unterstützung für die Analyse bestimmter Symptome. Für die Biologie bildet er ein Paradoxon, für die Psychoanalyse jedoch wurde er zunehmend unentbehrlicher. Nach Freuds Ansichten bildet er den Gegentrieb zur Libido.
Das Es, Ich und Über-Ich
Von 1915- 1925 beschäftigte sich Freud intensiver mit der Metapsychologie. Er veröffentlichte Artikel über die Verneinung und den Fetischismus. Seine Arbeit an der Metapsychologie brachte ihn dazu, dass er sich einem neuen Thema zuwendete. Es ist eine Theorie über die Unterteilung des psychischen Apparates in verschiedene Teile. Dabei ist eine räumliche Darstellung möglich, die jedoch keine anatomische Beziehung zulässt.
Freud beschäftigte sich mit dem Es, dem Ich und dem Über- Ich. Dabei steht das Es für unbewusste, aus der Libido und dem Todestrieb stammende Energie. Das Über- Ich stellt die vom Ich getrennte kritische Instanz dar.
Freuds Position zur Religion
Freud selbst stammte zwar aus einer jüdischen Familie, hatte aber keine religiöse Erziehung erhalten- er war einfach ein Atheist. Er schrieb an den Direktor der jüdischen Zeitung Zürich folgendes: "Ich kann sagen, dass ich der jüdischen Religion so ferne stehe wie allen anderen Religionen, das heißt, sie sind mir als Gegenstand wissenschaftlichen Interesses hochbedeutsam, gefühlsmäßig bin ich an ihnen nicht beteiligt. Dagegen habe ich immer ein starkes Gefühl von Zusammengehörigkeit in meinem Volke gehabt und es auch bei meinen Kindern genährt. Wir sind alle in der jüdischen Konfession verblieben."
Jude zu sein war für ihn eine persönliche Angelegenheit. So konnte er auf andere Juden stolz sein, sie aber auch kritisieren.
Indirekt steht die Entdeckung der Psychoanalyse durch Freud mit seiner jüdischen Angehörigkeit in Verbindung. Möglicherweise lassen sich die Unbestechlichkeit seines Urteils und seine Charakterstärke auf die aus den Verfolgungen resultierende Standhaftigkeit zurückführen. Selbst wenn die Verfolgungen relativ erträglich waren, galten sie doch als eine Belastung.
" Die Universität, die ich 1873 bezog, brachte mir zunächst einige fühlbare Enttäuschungen. Vor allem traf mich die Zumutung, dass ich mich als minderwertig und nicht volkszugehörig fühlen sollte, weil ich Jude war. Das Erstere lehnte ich mit aller Entschiedenheit ab. Ich habe nie begriffen, warum ich mich meiner Abkunft, oder wie man zu sagen begann: Rasse, schämen sollte. Auf die mir verweigerte Volksgemeinschaft verzichtete ich ohne viel Bedauern. Ich meinte, dass sich für einen eifrigen Mitarbeiter ein Plätzchen innerhalb des Rahmens des Menschtums auch ohne solche Einreihung finden müsse. Aber eine für später wichtige Folge dieser ersten Eindrücke von der Universität war, dass ich so frühzeitig mit dem Lose vertraut wurde, in der Opposition zu stehen und von der " kompakten Majorität" in Bann getan werden. Eine gewisse Unabhängigkeit des Urteils wurde so verbreitet."
verfasst von Maria K.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 1999/2000