Elias Canetti

Elias Canetti

Am 25. Juli 1905 wird Elias Canetti in Rustschuk/Bulgarien geboren. Seine Eltern Jacques und Mathilde Canetti waren Juden sephardischer (hebr. für spanischer) Herkunft und eine weitverzweigte und traditionsbewusste Kaufmannsfamilie. Sie hielten streng auf ihre kulturelle Eigenart, welche die Kindheit der Canettis entscheidend prägte. Die Eltern sprachen Deutsch, unterhielten sich mit den Kindern aber oft im althergebrachten spanischen Dialekt.

1911 zog die Familie von Elias Canetti, der noch zwei Brüder, Georg und Nissim, hatte, nach Manchester, wo er die Schule besuchte. Im selben Jahr starb der Vater, woraufhin die Familie 1913 nach Wien ging. Dort vermittelte ihm seine Mutter unter "Hohn und Qualen" die ersten grundlegenden Deutschkenntnisse. In Wien erlebte Canetti den Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit, in einer Wiener Volksschule auch dessen propagandistische Aufbereitung.

Foto: Autor unbekannt / CC BY-SA 3.0 NL

Ein Besuch der Talmud-Thora-Schule sollte die Beziehung zur jüdischen Tradition und Kultur verstärken, jedoch hatte sich sein Interesse bis dahin auf die Lektüre klassischer Autoren gerichtet. Aufgrund des Kriegspatriotismus der Österreicher verließ die Familie Canetti Wien und zog nach Zürich/Schweiz. Hier besuchte Elias Canetti 1917 das Realgymnasium der Kantonschule Zürich. Seine "einzig vollkommenen glücklichen Jahre" in Zürich endeten nach heftigem Drängen der Mutter mit dem Umzug nach Frankfurt am Main. In Deutschland wurde er mit den Unruhen der Nachkriegszeit konfrontiert.

1924 legte Canetti das Abitur am Frankfurter Wöhler-Realgymnasium ab. Danach trat er ein Studium an der Universität Wien an, sein Hauptfach war Chemie. Entscheidend für seinen persönlichen und literarischen Werdegang war die Begegnung mit Karl Kraus, den er 1924 zum ersten Mal in einer Vorlesung gehört hatte. Bald schon sah er sich als dessen "ergebener Sklave" und unter der geistigen Führung dieser Autorität rückten während der Studienzeit zentrale Probleme des späteren Schaffens in seinen Blickpunkt. In der Folgezeit beschäftigte sich Canetti mit dem sozial-psychologischen Phänomen der "Masse".
Ein Schlüsselerlebnis diesbezüglich war der Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927 und die damit verbundenen blutigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten.

Bei seinen Sommeraufenthalten in Berlin 1928/29 lernte er viele kritische Autoren und Intellektuelle, wie George Grosz, Bert Brecht und Isaak Babel, kennen. Während seiner Semesterferien 1928 arbeitete er in Berlin für Wieland Herzfelde als Übersetzer in dessen Malik-Verlag. Nach der Erlangung des akademischen Grades "Dr. phil. nat." im Frühjahr 1929 arbeitete Canetti erneut für den Malik-Verlag, als Übersetzer der drei Bücher Upton Sinclairs aus dem Amerikanischen. Nebenbei begann er mit der Niederschrift seines ersten Werkes "Die Blendung", in dem er den Konflikt zwischen Geist und Wirklichkeit als "Groteske" beschreibt. Nach der Vollendung dieses Werkes 1931 verfasste Canetti im Winter 1931/32 sein erstes Drama "Hochzeit". Im Folgejahr verband ihn eine herzliche Freundschaft mit C. Hermann Broch; besondere Bedeutung gewann die enge Beziehung zu dem jüdischen Lyriker, Psychologen und Philosophen Abraham Sonne.

Der Romanzyklus "Comédie Humaine an Irren" wurde 1930/31 konzipiert. Von Herbst 1933 bis Januar 1934 entstand das dreiaktige Stück "Komödie der Eitelkeit". Im Februar 1934 heiratete er seine langjährige Freundin Veza Taubner-Calderon. Durch die Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland endete das Leben in Wien und Elias Canetti emigrierte mit seiner Frau im November 1938 zunächst nach Paris und anschließend nach London. Angesichts der politischen Entwicklung gab Canetti in London die Arbeit an fiktionalen Texten vorläufig auf und widmete sich intensiv anthropologischen, ethnologischen und sozialhistorischen Studien zur Problematik Masse und Macht. 1949 wurde Elias Canetti mit dem "Prix international" ausgezeichnet. Sein Roman "Die Blendung" war unterdessen in nahezu allen europäischen Ländern publiziert. Sein zweites Drama ließ nicht lange auf sich warten und entstand 1952. Er nannte es "Die Befristeten".

Im Frühjahr 1954 unternahm Canetti eine Reise nach Marrakesch als Begleiter eines Filmteams, woraufhin er "Die Stimmen von Marrakesch. Aufzeichnungen einer Reise" niederschrieb. Dem folgten Aufenthalte in Frankreich und Italien. 1960 erschien Canettis theoretisches Hauptwerk "Macht und Masse", an dem er fast 20 Jahre gearbeitet hat. In ihm liefert er eine Analyse der Beziehung von Mensch und Gesellschaft mit Hilfe eines ethnographisch-psychologischen Ansatzes. Drei Jahre später, also 1963, starb seine Frau Veza. Tiefgetroffen hielt sich Canetti häufig bei seinem Bruder Georg auf, der 1971 starb.

Straßenschild in Wien - Canettistraße

Die Uraufführung seines ersten Dramas "Hochzeit" fand 1965 am Staatstheater Braunschweig statt. Aufgrund der darin enthaltenen fortschrittlichen Gedanken zur Ehe wurde das Drama zum "Theaterskandal". 1970 wurde er als international anerkannter Autor Mitglied der Berliner Akademie der Künste und korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Ein Jahr später heiratete Canetti Hera Buschor, aus der Ehe ging 1972 ein Kind namens Johanna hervor. Die Familie wohnte immer noch in London, aber ein zweiter Wohnsitz war zu dieser Zeit Zürich. Im selben Jahr wurde Canetti mit dem deutschen Büchner-Preis ausgezeichnet. Seit 1971 entstanden drei Bände seiner Autobiographie: "Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend", "Die Fackeln im Ohr. Lebensgeschichte" und "Das Augenspiel. Lebensgeschichte 1931-1937".

Foto Straßenschild: Christian Michelides / CC BY-SA

Alle drei Bände sind Beiträge zur Interpretation von Canettis Lebens- und Werkgeschichte. Der erste Band seiner Autobiographie "Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend" wurde 1977 veröffentlicht. Drei Jahre später wurde der zweite Band "Die Fackeln im Ohr" herausgebracht. Schließlich erhielt er 1981 den Nobelpreis für Literatur und 1983 das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, nachdem er bereits 1979 den Orden "Pour le Mérite" in Frankreich überreicht bekam. Elias Canetti hat die größten Ehrungen, die ein Schriftsteller erhalten kann, bekommen.

Am 14. August 1994 starb er in Zürich.

verfasst von: Sabine H.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2001/2002
überarbeitet von Elisabeth A. im Juni 2007