Anna Seghers

Christa Wolf "Gesichter der Anna Seghers"

"Anna Seghers: Deutsche, Jüdin, Kommunistin, Schriftstellerin, Frau, Mutter. Jedem dieser Worte denke man nach. So viele einander widersprechende, scheinbar einander ausschließende Identitäten, so viele tiefe, schmerzliche Bindungen, so viele Angriffsflächen, so viele Herausforderungen und Bewährungszwänge, so viele Möglichkeiten, verletzt zu werden, ausgesetzt zu sein, bedroht bis zur Todesgefahr." (Anna Seghers. Eine Biographie in Bildern, hg. von Frank Wagner, Ursula Emmerich, Ruth Radvanyi, 1994)

Anna Seghers 1975
Bundesarchiv, Bild 183-P1202-316 /
CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE

Biografie

  • 19. November 1900: Geburt als Nelly Radvanyi; Tochter eines jüdischen Kunsthändlers in Mainz
  • 1919: Studium in Köln und Heidelberg (Kunstgeschichte, Geschichte, Sinologie, Philologie)
  • 1924: erste Erzählung: "Die Toten der Insel Djal"
  • 1925: Heirat mit Johann-Lorenz Schmidt (Kommunist, Jude)
  • 1933: kurzzeitige Verhaftung und Flucht nach Paris
  • 1941: Flucht nach Mexiko, Gründung des Heinrich-Heine-Klubs
  • 1942: "Das siebte Kreuz" erscheint (Roman über die Flucht von sieben Häftlingen aus einem Konzentrationslager während der NS-Zeit)
  • 1947: Rückkehr nach Deutschland, Mitglied der SED
  • 1948: Vizepräsidentin des "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands"
  • 1950: Mitglied im Weltfriedensrat der DDR
  • 1951: Anna Seghers erhält Nationalpreis der DDR
  • 1952 Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR (bis 1978)
  • 1957: Entstehung der Novelle "Der gerechte Richter" ' Kritikgedanken an DDR
  • 1975 Kulturpreis des Weltfriedensrates sowie die Ehrenbürgerschaft von Ost-Berlin
  • 1978 Ehrenpräsidentin des DDR-Schriftstellerverbandes
  • 01. Juni 1983: Tod in Ost-Berlin

Delegation deutscher Kulturschaffender in der UdSSR Auf Einladung des sowjetischen Schriftstellerverbandes weilte im April 1948 eine Delegation fortschrittlicher deutscher Kulturschaffender in der UdSSR. Während ihres Aufenthaltes dort besucht die Delegation u.a. auch Leningrad. Die Delegation auf dem Isaak-Platz in Leningrad (v.l.): Ellen Kellermann, unbekannt, der Schriftsteller Eduard Claudius, der Filmautor Michael Tschesno-Hell, Jürgen Kuczynski, die Schriftstellerin Anna Seghers, der Philosoph Wolfgang Harich, der Lyriker und Essayist Stephan Hermlin.

Bundesarchiv, Bild 183-2005-0816-516 / Unknown /
CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE

Anna Seghers symbolisiert für mich Stärke und Standfestigkeit. Sie lebte nicht mit der Zeit, sie erschuf ihre eigene. So hielt sie an ihren Prinzipien und Idealen fest. Sie verleugnete nie ihren jüdischen Glauben und war stets darauf bedacht, die Gesellschaft kritisch zu hinterfragen.

Kritik äußerte die Schriftstellerin vor allem in ihren Büchern. Anna Seghers warnte beispielsweise in dem Roman „Die Gefährten“ (1932) vor dem bevorstehenden Faschismus. Sie trat 1928 der KPD bei. Ein Jahr später arbeitete sie im „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ mit. Durch ihre sozialistische Haltung und ihre Religiosität wurde die junge Frau schnell zur Feindin des NS-Staates. Im Mai 1933 wurden Bücher von ihr verbrannt und sie wurde von der Gestapo kurzzeitig verhaftet. Noch im selben Jahr gelang ihr die Flucht nach Frankreich. Dort setzte sie sich weiter mit dem Hitlerfaschismus auseinander. Die Jüdin fragt in dem 1933 erschienenen Roman „Der Kopflohn“ nach den Ursachen des Nationalsozialismus. Als die deutschen Truppen 1940 in Frankreich einmarschierten, floh Anna Seghers nach Mexiko, wo sie ein Jahr später mit Mann und zwei Kindern ankam. Die engagierte Frau gründete den antifaschistischen Heinrich-Heine-Klub als Zeichen des Widerstandes. Des Weiteren organisierte sie in Zusammenarbeit mit Ludwig Renn die Bewegung „Freies Deutschland“. Sie wollte den Untergang des NS-Regimes.

Die nationalistische und menschenfeindliche Diktatur Adolf Hitlers ließ sie nicht los. Der Menschenhass und die gesteuerte Entwicklung der Menschen durch die Propaganda beschäftigten sie weiterhin. Anna Seghers verfasste in dieser Zeit zahlreiche Werke. In der Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“ (1944) schildert sie einen Schulausflug aus ihrer Kindheit. Sie beschreibt ihre Klassenkameradinnen und deren Schicksale im Ersten Weltkrieg bis hin zur NS-Zeit. Hass, Liebe, Verrat, Freundschaft und Tod vereinen sich. Die Verformung der Menschen durch die Propaganda wird deutlich. Die Verformung ihrer Freunde, nicht die ihrige. Die Schriftstellerin hielt an ihrem revolutionären Jugendideal fest, das den Sozialismus und den daraus entstehenden Kommunismus als Hoffnung auf Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit sieht.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte Anna Seghers nach Deutschland zurück. Sie zog mit ihrer Familie nach Ostberlin. In dem sozialistischen System der DDR spiegelte sich ihr Jugendideal wieder. Sie hatte Hoffnung auf Erneuerung, Gerechtigkeit und Freiheit. Anna Seghers wurde 1947 Mitglied der SED. Sie engagierte sich im Kulturbund für die demokratischen Erneuerung, war Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste und Mitglied im Deutschen Schriftstellerverband. Außerdem plädierte sie immer wieder für den Frieden. Anna Seghers nahm an der Weltfriedensbewegung teil und war Mitglied im Präsidium des Weltfriedensrats der DDR. Allerdings stellte sie das System der DDR mit der Zeit in Frage. In dem Werk „Der gerechte Richter“ (1957) setzte sie sich kritisch mit der DDR auseinander. Aus politischen Gründen wurde die Novelle erst 1990, nach der Wiedervereinigung, veröffentlicht.

Anna Seghers blieb sich treu. Sie war eine sehr willensstarke und engagierte Frau, die für das Gute, für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit kämpfte. Sie überdachte und schaute voraus. Sie war zukunftsorientiert und revolutionär. Anna Seghers war sie selbst. Sie vereinte in sich scheinbar widersprüchliche Identitäten, die sie zu einer wunderbaren, starken und selbstbewussten Frau formten.


gestaltet von Pia W. im Schuljahr 2019/2020

Berliner Gedenktafel, Anna Seghers, Helmstedter St
Berliner Gedenktafel, Anna Seghers, Helmstedter St OTFW, Berlin 2009