Moses Mendelssohn

Moses Mendelssohn (1729-1786) Porträt nach Anton Graff / Public domain

Im Herbst 1743 betrat der 14jährige Moses Mendelssohn, Sohn eines armen Toraschreibers aus Dessau, Berlin. Als Schüler David Fränkels folgte er diesem bei der Übersiedlung nach Berlin, wo Fränkel Rabbiner an der Synagoge Heidereutergasse wurde. Der Rechtsstatus des Studenten war nur vage gefasst und hing von der Anerkennung der Gemeindevorsteher ab. Die ersten sieben Jahre lebte Mendelssohn von der Hand im Mund. Neben dem traditionellem Talmudstudium eignete er sich das bei den Rabbinern verpönte "weltliche" Wissen an: Deutsch, Mathematik, Französisch, Latein, Griechisch, Philosophie und Naturwissenschaften. Seinen Lebensunterhalt verdiente er seit 1750 beim Seidenfabrikanten Isaak Bernhard, zuerst als Hauslehrer, später als Buchhalter und dann als Mitinhaber.

Bis 1763 hatte er keinen eigenen Schutzbrief und durfte nur in Berlin bleiben, da er bei dem "ordentlichen Schutzjuden" Bernhard angestellt war. Trotz der beruflichen Inanspruchnahme blieb Mendelssohn der wissenschaftlichen Arbeit zeitlebens treu. Von großer Bedeutung erwies sich die Bekanntschaft mit Gotthold Ephraim Lessing. Dieser hatte schon 1749 in seinem Lustspiel die Juden zur Aufgabe der anachronistischen Vorurteile gegen die Juden aufgerufen. Mendelssohn und Lessing verband eine lebenslange Freundschaft, von der beide in ihrem schriftstellerischen Wirken profitieren. Zusammen mit dem Schriftsteller und Verlagsbuchhändler Friedrich Nicolai entwickelten sie die Literaturkritik als wissenschaftliche Disziplin. Lessing setzte seinem Freund im Versdrama "Nathan der Weise" (1779) ein Denkmal: Die Figur des integren Nathan trägt deutlich Mendelssohns Züge. Mit seinem philosophischen Werk "Phaedon" (1767) wurde Mendelssohn als deutscher Philosoph berühmt.

Moritz Daniel Oppenheim: Der Lavater-Streit, 1856. Links Mendelssohn, stehend Lessing, rechts Lavater / Public domain

Schon 1763 hatte er den ersten Preis der Königlichen-Preußischen Akademie der Wissenschaften für seine "Abhandlung über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften" erhalten. 1771 wurde er von der Akademie zum Mitglied gewählt, was der "aufgeklärte Philosophenkönig" Friedrich II. jedoch nicht bestätigte. Als Anhänger der Ideen der Aufklärung bemühte sich Mendelssohn um eine Beendigung der sozialen und kulturellen Isolation seiner Glaubensgenossen. Die Annäherung der Juden an die deutsche Kultur sollte zu ihrer gesellschaftlichen Eingliederung führen und den Boden für die Begegnung mit Nichtjuden bereiten. Diese Begegnung wurde aber schon dadurch erschwert, dass die Mehrheit der preußischen Juden Jiddisch sprach, in hebräischen Buchstaben schrieb und das Deutsche kaum beherrschte. Um seinen Glaubensgenossen das Tor zum deutschen Sprachraum zu öffnen, übersetzte Mendelssohn die hebräische Bibel ins Deutsche.

Kupferstich von Daniel Chodowiecki: Moses Mendelssohn wird am Berliner Tor zu Potsdam examiniert, 1792. Mitte Mendelssohn, der dem preußischen Offizier seine Papiere zur Kontrolle überreicht./ Public domain

Der Text wurde zunächst weiter mit hebräischen Buchstaben gedruckt, um den jüdischen Lesern den Zugang zu erleichtern. Die Übersetzung führte zu heftigen Reaktionen in der jüdischen Gemeinschaft. Die einen nahmen sie begeistert auf; noch zu Mendelssohns Lebzeiten erschienen drei Auflagen. Die orthodoxen Rabbiner dagegen waren empört und drohten Mendelssohn mit dem Bann. Für sie war die Übersetzung der Heiligen Schrift in eine weltliche Sprache Balsphemie. Neben der Bibelübersetzung arbeitete Mendelssohn an "Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum". Darin lehnte er jede Art religiösen Zwangs ab und definierte das Judentum als geoffenbartes Gesetz (im Gegensatz zur christlichen Religion, die auf geoffenbarter Lehre beruht).

Im Judentum seien zwar verbindliche Vorschriften und Gesetze für das Leben geboten, nicht aber Vorschriften für das Denken. Obwohl es Mendelssohn sehr daran lag, die Juden in die westliche Kultur zu integrieren, durfte dies nach seiner Auffassung nicht um den Preis der Aufgabe des Judentums geschehen. Sein eigenes Leben entsprach dem Modell, das er für alle Juden anstrebte: an den Riten und Gesetzen der jüdischen Tradition festzuhalten und gleichzeitig voll an der Kultur der Umwelt teilzunehmen.

Grabstein (Replik) auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Mitte, beide Seiten

Foto: Manfred Brückels / CC BY-SA

Die jüngeren jüdischen Aufklärer sahen das anders. Die Integration in die westliche Kultur bedeutete für sie auch den Bruch mit althergebrachten Überzeugungen und Riten. Mendelssohn blieb als Vater der Haskala ihr großes Idol und wurde entgegen seiner eigenen Lebensweise zum Repräsentanten der deutsch- jüdischen Assimilation.

"Wenn meine Übersetzung von allen Israeliten ohne Wiederrede angenommen werden sollte, so wäre sie überflüssig. Je mehr sich die sogenannten Weisen der Zeit widersetzen, desto nötiger ist sie. Ich habe sie anfangs für den gemeinen Mann gemacht, finde aber, dass sie für Rabbiner noch viel notwendiger ist."
Moses Mendelssohn; 1779

verfasst von: Carolin P.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2000/2001