Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Kunst
Handel, Gewerbe und Industrie
In der Zeit der Industrialisierung setzte eine zunehmende Landflucht ein. Aufgrund ihrer Vergangenheit und ihrer Ausbildung fanden die jüdischen Zuwanderer Eingang in unabhängigen Berufen , als Ladenbesitzer, Kleinfabrikant, Exporteure und Importeure, als Vertreter der Großfabrikanten und Industrieunternehmer, als Bankangestellte bzw. Bankiers und als Arbeiter vor allem in der Zigaretten- , Lederwaren- und Pelzindustrie. In diesen Berufen konnten sich viele Juden gerade in der Zeit der Weimarer Republik geschäftlich etablieren, jedoch schwebt auch über dieser neuen Normalität der bedrohliche Schatten des Antisemitismus. Aufgrund der Zuwanderung aus Osteuropa blieb die Zahl der Handwerker, Arbeiter und Kleinhändler konstant. Gleichzeitig stieg der Anteil von Künstlern jüdischer Herkunft.
1925 lebten etwa 2/3 aller Juden in Deutschland in Großstädten. In der Industrie waren auf 1000 Einwohner gesehen etwa nur halb so viele Juden wie Deutsche beschäftigt, im Handel und Bankwesen dagegen doppelt so viele. Dies spiegelt die historische Entwicklung der Juden in Deutschland bzw. allgemein in Europa wider, wurde aber häufig unsachlicherweise von Antisemiten als Beweis angesehen, dass sich die Juden schwerer körperlicher Arbeit entziehen und dass sie sich letztlich auf Kosten der Deutschen bereichern wollen.
Erwähnenswert erscheint auch die Tatsache, dass die Entstehung von Kaufhäusern mit umfangreichem Sortiment in Deutschland untrennbar mit den Namen jüdischer Unternehmer verbunden ist. Gerade wenn es um solch neue oder besonders risikoreiche Geschäftsfelder ging, waren jüdische Unternehmer engagiert. Die Entstehung einer Filmindustrie in Deutschland könnte als weiterer Beleg hier angeführt werden.
Geisteswissenschaft
Der wohl bekannteste Name in dieser Richtung ist sicherlich Sigmund Freud (1856 - 1939). Er begründete die Psychoanalyse und erweiterte die Psychologie durch Einbeziehung des Unbewussten und durch neue Einsichten der Triebdynamik. Obwohl er in Wien praktizierte und dort Professor war, blieb Berlin in den Jahren der Weimarer Republik das Zentrum jüdischer Geisteswissenschaft. Aber es gab noch weitere bedeutende Persönlichkeiten jüdischer Herkunft, die das Gesicht dieser Zeit prägten, wie z.B. Ernst Cassirer (1874 - 1945).
Er beschäftigte sich mit Erkenntnisproblemen und einer Philosophie der symbolischen Formen, sowie auch mit der Relativitätstheorie von Einstein. Weitere wichtige Philosophen waren Leo Strauss und Ernst Bloch, der eine Philosophie der Hoffnung entwickelte. Sein Hauptwerk ist „Das Prinzip Hoffnung" (3 Bände 1954 bis 1959). Das Tätigkeitsfeld der einzelnen Juden war auch zu dieser Zeit schon breitgefächert. So beeinflusste in der Soziologie (Wissenschaft von der Gesellschaft, ihren Formen, Gesetzlichkeiten und ihrer Entwicklung ) Karl Mannheim mit seiner Wissenssoziologie und der Demokratielehre das Leben folgender Generationen. Auch wagten sich die Juden an Gebiete, die keine akademische Forschung benötigten wie Siegfried Kracauer als Filmsoziologe und in der Fotographie. Fast könnte man die Liste bedeutender Persönlichkeiten mit jüdischer Herkunft beliebig erweitern, hier noch einige Beispiele: Gerhard Scholem (1897 - 1982, Kabbalaforscher), Walter Benjamin (1892-1940, Literaturhistoriker, Kunstkritiker, Übersetzer); Hans Kelsen (1881 -1973, Staatsrechtslehrer und Rechtsphilosoph ), Max Horkheimer ( Direktor des Instituts für Sozialforschung).
In der Naturwissenschaft
In der Weimarer Republik waren unter fünfzehn Nobelpreisträger fünf deutsche Juden: Albert Einstein (Physik), Otto Meyerhof (Medizin), James Franck (Physik), Gustav Hertz (Physik), Otto H. Warburg (Medizin).
Einstein ist zwar sicher der prominenteste Vertreter, aber es gab auch andere Naturwissenschaftler jüdischer Herkunft, die auf ihrem Gebiet Bedeutendes geleistet haben. So entwickelte Paul Ehrlich eine Methode zum Färben von Blutzellen, die Hämatologie. Außerdem war er der Begründer der Chemotherapie, welche noch heute in der modernen Pharmazeutik angewandt wird. Fritz Haber erfand ein Verfahren zur synthetischen Herstellung von Ammoniak, welches für die Produktion von Kunstdünger eingesetzt werden konnte. Angesichts der Geschehnisse unter Hitler mussten viele Juden, unter ihnen auch Albert Einstein in das Ausland emigrieren, was sie aber nicht von ihrem Forscherdrang abbrachte. So erhielt Otto Meyerhof eine Gastprofessur an der Universität Philadelphia. Gustav Hertz überlebte die schwere Zeit in Deutschland und wurde 1954, nachdem er einige Jahre in Russland verbracht hatte, in Leipzig Professor an der Universität.
So erhielten wenigstens einige nach dem Krieg die lange verweigerte Anerkennung für ihre harte und entbehrungsreiche Arbeit im Dienste der Wissenschaft.
Frauenemanzipation
Die erste Frau in Deutschland, die sich damit beschäftigte, war wohl Rahel Levin-Varnhagen. Sie lehnte die Hegemonie des Mannes ab und forderte schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine gesetzliche sowie gesellschaftliche Gleichstellung der Frau.
Ihre Ideen wurden von Fanny Lewald (1811-1889) weitergeführt. Sie sah die Emanzipation der Frauen im engen Zusammenhang mit der Emanzipation der Juden und Befreiung der Arbeiter. Ebenfalls kritisierte die Schriftstellerin in ihren Romanen die Konventionsehe. Sie veröffentlichte 1870 eine Kampfschrift, in der sie die uneingeschränkte Gleichberechtigung der Frau forderte. Ein Jahr zuvor veröffentlichte Friederike Kempner eine Schrift zur Abschaffung der Einzelhaft. Sie kämpfte mit Erfolg für die Errichtung von Leichenhäusern und erreichte die Aufhebung der Einzelhaft bei lebenslänglich Inhaftierten.
Allerdings wurden ihre Leistungen auf sozialem Gebiet und gegen den Antisemitismus durch ihren Ruf als "schlesische Nachtigall" (Sie verfasste Gedichte, deren Komik den Leser zum Lachen brachte.) geschmälert. Eine weitere bedeutende Persönlichkeit in der Frauenbewegung war Bertha Pappenheim (1859-1936). Sie gründete 1904 in Frankfurt den Jüdischen Frauenbund, welcher eng mit der deutschen Frauenbewegung zusammenarbeitete. Außerdem kämpfte sie gegen Prostitution und die Benachteiligung uneheliche Kinder. In der Nähe von Frankfurt gründete sie ein Heim für Prostituierte. Sie wurde 1936 durch Gestapo-Beamte ermordet. Alice Coblens-Bensheimer (1864-1957) war 25 Jahre lang die Schriftführerin des Bundes Deutscher Frauenvereine. Von großer Bedeutung war ebenfalls Alice Salomon (1872-1948).
Sie leitete unter anderem eine Soziale Frauenschule und die Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit in Berlin. Henriette Katzenstein-Fürth (1861-1939) war die Mitbegründerin der Deutschen Mutterschutzbewegung und sie war in der Jüdischen Sozialfürsorge tätig.
Kunst
In der Kunstgeschichte der Juden vollzog sich im 19./20. Jahrhundert eine Revolutionierung. Wichtig für diesen Zeitabschnitt war der 1887 geborene Herwarth Walden. Er komponierte, schrieb Dramen und Kritiken. Durch seine Erfahrung als Redakteur literarischer Zeitschriften gründete er 1910 die Zeitschrift „Der Sturm". 1912 eröffnete er den Sturm-Kunstsalon, in der die Gruppe des „Blauen Reiter" in der Ausstellung präsentiert wurde. Kurz darauf zeigte er Künstler des französischen und deutschen Expressionismus und wurde damit zu einem bedeutenden Förderer moderner Kunst. Werke von Paul Klee und Oscar Kokoschka, Marc Chagall, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Franz Marc und August Macke sind Beispiele für Bilder seiner Galerie.
Der Kurt Wolff Verlag in Leipzig und München stellte damals das Zentrum expressionistischer Literatur dar. Kurt Wolff (1887-1963), welcher mütterlicherseits aus einer jüdischen Familie stammte, veröffentlichte auch viele Werke jüdischer Schriftsteller in der aus 86 Bändern bestehenden, expressionistischen Buchreihe „Der Jüngste Tag". Darunter waren Mynona, Oscar Baum, Max Brod, Carl Einstern, Franz Kafka, Ludwig Rubiner und Ferdinand Bruckner.
Jüdische Maler, Bildhauer und Graphiker in Deutschland wirkten vor allem in der allgemeinen Kunstbewegung der Zeit. Künstler, wie Herman Strunk, Ephraim Mose Lilien, Jaseph Budko, Jakom Steinhardt, Lesser und Jankel Adler beschäftigten sich vorwiegend mit jüdischen Themen. Einige entwickelten ihre eigene Weltanschauung. Otto Freundlich, der 1943 ermordet wurde, sprach von einer „kosmischen Moral", was sich auch in seinen Werken (Beispiel: Die Mutter) deutlich wird. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg widerspiegelte vielfältigste Eindrücke. Nikolaus Brauns malte 1921 im typischen Berliner Kunststil seine Straßenszenen realistisch. Er gibt die beängstigende Entfremdung, Hektik und Tempo als Vertreter der Großstadtmalerei wieder. Viele zu dieser Zeit entstandene Werke vermitteln Ängste, Schwermut und Notstände jüdischer Familien. Felix Nußbaun, 1904 geboren und 1944 in Auschwitz ermordet, entwarf das Motiv des Leierkastenmanns ebenfalls im Berliner Kunststil. Berliner Arbeiterviertel, Hinterhöfe und traurige Augen sind Elemente vieler Werke von jüdischen Künstlern.
Die Stadt Weimar war zu dieser Zeit eine Metropole für Literatur, Politik und Kunst der Juden. Obwohl es viele jüdische Redakteure und Herausgeber gab, waren diese oft nicht daran interessiert, jüdische Einstellungen zu Zeitereignissen zu formulieren und wiederzugeben. 1918 wurde auch aus diesem Grund die linksintellektuelle Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“ herausgebracht. Daneben gab es die Monatszeitschrift „Der neue Merkur“, wo Literatur über aktuelle Probleme gedruckt wurde. „Die Neue Rundschau" berichtete besonders über die etablierten Literatur und die „Die literarische Welt" galt vornehmlich unter den Autoren der modernen künstlerischen Bewegungen als aufgeschlossene Wochenzeitschrift. Auch die Zeitschrift „Kunst und Künstler" sollte ein Wegbereiter der modernen Kunst sein. Dagegen war „Corona" anspruchsvoll und veröffentlichte Literatur von Hugo von Hofmannsthal, Paul Valery und Hermann Hesse. Zeitgenössische Bestrebungen in der Kunst und das Bemühen um modernere Lebensformen wurden brillant mit photographierten Experimenten und Zeichnungen von Künstlern aus aller Welt in „Der Querschnitt" illustriert.
Der Herausgeber der Zeitschrift „Die Zukunft“ (1892-1922) war Maximilian Harden. Er war politisch und weltanschaulich engagiert und hieß eigentlich Felix Ernst Witkowsky. Er lebte von 1861 bis 1927 und war ein starker Gegner von Wilhelm II. und seiner Politik. 1922 überlebte er ein Attentat und emigrierte darauf in die Schweiz. Ein bedeutender jüdischer Autor und Literaturkritiker war auch Karl Kraus. Er lebte von 1874 bis 1936 und galt als sehr streitsüchtig und spitzfindig. Seine Anhänger verehrten ihn als kompromisslosen Ethiker, Gesellschaftskritiker und rücksichtslosen Satiriker. Er fühlte sich selbst dabei als höchste Autorität der deutschen Sprache.
verfasst von Franziska L., Maria H., Patrick S.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 1998/1999